Overthinking – warum deine ständige Grübelei Fluch und Segen ist | Selbstmanagement

Die zehn extra Minuten nach dem Snooze-Button hättest du dir sparen können. Wärst du direkt aufgestanden, müsstest du dich jetzt nicht so abhetzen. Hättest den früheren Zug erwischen können. Früher auf der Arbeit sein können, um X und Y zu erledigen. Dann hättest du sogar Zeit gehabt, um noch Thema Z dazwischen zu schieben, jetzt lässt du die Person hängen.

Dieser Gedankengang spielt sich in dieser oder ähnlicher Form jeden einzelnen Morgen innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem (tatsächlichen) Aufwachen in meinem Kopf ab. Gerne auch nachdem ich auf Snooze gedrückt habe und diese ach so fatalen zehn Minuten extra eigentlich zum Ausruhen nutzen wollte. Und so rattert es nahezu 24 Stunden an sieben Tagen die Woche in meinem Kopf.

Macht mich das zum ultimativen Opfer und/oder Idioten ohne Selbstkontrolle? Nein. Diese paar Zeilen schreibe ich so ehrlich und öffentlich nieder, weil ich weiß, dass jede dieses Gefühl kennt. Manche als ständiger Begleiter wie in meinem Fall oder zu bestimmten Phasen im Leben. Es ist normal – ja, in erster Linie menschlich – dass wir ständig denken, analysieren, Muster erkennen und Lösungen finden wollen. Das ist unser evolutionärer Vorteil, der uns in der modernen Gesellschaft mittlerweile gerne ins eigene Bein schießt.

Denn einerseits erschöpft uns dieses ständige Verketten von „Wenn, dann“-Gedanken, andererseits raubt es uns kognitiver und zeitlicher Ressourcen. Decision Fatigue, auf Deutsch auch Entscheidungsermüdung, beschreibt den Zustand, der meist durch dieses ständige Überlegen herbeigeführt wird. Jeden Tag triffst du hunderte von winzig kleinen, unbewussten und großen, bewussten Entscheidungen. Das beginnt mit der Entscheidung „Snooze – ja oder nein?“, geht über die Auswahl deiner Kleidung für den Tag bis hin zu schwerwiegenden Entscheidungen in deinem Job: Dein Kollege macht X – wie verhältst du dich? Gibt es noch Optionen oder muss Person Y entlassen werden? Jede Entscheidung kostet uns mindestens Zeit und Energie – auch in Zukunft, denn Entscheidungen haben nun mal Konsequenzen. Und je mehr Entscheidungen wir treffen, desto schlechter wird unser Urteilsvermögen und damit die Qualität der getroffenen Entscheidungen.

Ein bekanntes Beispiel für die schwerwiegenden Folgen von Decision Fatigue: Eine Studie von Danziger, Levav und Avnaim-Pesso hat gezeigt, dass der Anteil von Freisprechungen mit jeder von Richtern getroffenen Entscheidungen um 65% sinken. Mit jeder Entscheidung. Nach einer Pause steigen die Werte im Schnitt übrigens wieder auf die Ausgangslage zurück. Einfach gesagt: Richter treffen mit jeder getroffenen Entscheidung „schlechtere“ Urteile. Menschen, die die Verantwortung dafür tragen, wie das weitere Schicksal anderer aussehen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Decision Fatigue auch das Zurückfallen auf (vermeintliche) Erfahrungswerte begünstigt. Das heißt, Vorurteile jeglicher Form – von Rassismus über Sexismus – haben zunehmend stärkeren Einfluss.

Aber was hat das jetzt mit Snooze drücken zu tun? Es ist natürlich unangemessen, kleine, alltägliche Entscheidungen mit großen, schicksalsbestimmenden Urteilen zu vergleichen. Aber erstere haben einen enormen Einfluss auf letztere. Und jede Entscheidung hat Konsequenzen – für andere, für uns selbst.

„Sehr gut, jetzt habe ich noch mehr Druck und Sorge, die falsche Entscheidung zu treffen!“ – das soll nicht das Fazit dieses Beitrags sein. Die Aussage, die ich hier mitgeben möchte, ist eigentlich das vermeintliche Gegenteil: Geduld und Verständnis für uns selbst.

Wir sollten Geduld mit unserem Gedankensturm haben. Ihnen als solchen anerkennen und uns bewusst machen, dass das unser Hirn ist, das helfen will – evolutionär gesehen aufpassen will, dass wir uns nicht aus Dummheit selbst umbringen. Geduld mit Entscheidungen, die doch nicht die besten waren. Geduld für den Prozess unseres persönlichen Wachstums.

Das Verständnis geht eine Ebene tiefer. Warum denke ich so? Vieles geschieht unbewusst, aber den halbwegs bewussten Gedankenstrom und -sturm wahrzunehmen, anzuerkennen und zu analysieren, ist der erste Schritt für einen gesünderen Umgang mit uns selbst. Es mag augenscheinlich paradox erscheinen, zu viel Denken mit noch mehr Denken zu bekämpfen.

Als Teil einer Übung zur persönlichen Weiterentwicklung sollte man automatisierte Gedankenmuster und Glaubenssätze als Teil einer Übung niederschreiben. Ich habe sie offen und ehrlich so aufgeschrieben, wie sie in meinen Kopf waren. Mensch, der ich bin, waren sie größtenteils negativ oder ungesund. Eine Kollegin, mit der ich diese Übung gemeinsam machte, sah das kritisch und meinte, dass es vollkommen legitim sei, solche Gedanken zwar zu hören, aber ihnen nicht „Macht“ zu verleihen, indem man sie aufschreibt. Lieber solle man die bewusste, positive Formulierung niederschreiben. Ein Beispiel wäre lieber „Ich bin genug“ aufzuschreiben statt „Ich muss mehr erreichen“.

Ihren Standpunkt verstehe ich. Sie hat Recht damit, dass es nicht Zweck der Sache ist, internalisierte, schädigende Glaubenssätze weiter zu bestärken. Mein Ansatz, der mir bisher immer am besten geholfen hat, ist es, dort hinzusehen, wo es wehtut und hässlich ist. Um zu verstehen, warum ich so denke, muss ich erst wissen, was ich denke. Das Unbewusste ins Bewusste rufen. Um es vereinfacht zu sagen: Statt mir zu sagen, dass es kein Monster unter meinem Bett gibt, sehe ich es hilfreicher an, kurz das Licht anzumachen, einen Blick unters Bett zu werfen und einen Haken an die Sache zu setzen.

Das sind persönliche Ansätze. In aller Regel liegt der erste Schritt zur (Selbst-)Verantwortung und Verbesserung aber darin, eine Bestandsaufnahme zu machen und zu fragen: Wie kam es dazu? Für mich ist es sogar Teil meiner Identität. Dieser Blog setzt sich schließlich mit Fragen auseinander und soll Erklärungsansätze liefern, um Werkzeuge zur Verbesserung zu vermitteln.

Letztlich können wir unser Hirn nicht vom Denken abhalten. Ja, bloß nicht! Unser Hirn, unsere evolutionäre Entwicklung ist etwas Fantastisches. Aber wir sollten uns bewusst machen, dass wir unser Leben, Denken und Handeln aktiv bestimmen können und kein Treibholz im Strom sind. Es gibt Phasen, da können wir selbstbestimmter agieren als in anderen. Psychische Krankheiten wie Depressionen können all das enorm erschweren.

Aber wenn ich eins meinen Mitmenschen und mir selbst gleichermaßen mitgeben will: Mach dich nicht selbst zum passiven Opfer. Verschließe nicht die Augen, sondern schau hin und frage dich, wie du es ändern kannst. Und dann: machen. Immer und immer wieder.

Impostor Syndrome – du bist genug | Motivation

Das Impostor Syndrome wurde in den vergangenen Jahren zunehmend diskutiert, besonders im Kontext von Generation Y und Z – und vor allem in Hinsicht auf junge Frauen.

Was ist das Impostor Syndrome?

Das Impostor Syndrome, auf Deutsch Hochstapler-Syndrom, ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Personen von ständigen Selbstzweifeln belastet sind. Und das bis zu dem Punkt, dass sie denken, all ihre Erfolge und Fortschritte seien nicht das Resultat ihrer Arbeit und Fähigkeiten, sondern reines Glück – und dass sie dementsprechend alle täuschen. Deswegen auch Hochstapler: Betroffene glauben, sie hätten Erfolg und Anerkennung in Wahrheit nicht verdient. Andere würden bloß ihre Unfähigkeit nicht erkennen.

Schwierig ist dabei auch, dass sich nahezu jeder irgendwann mal in irgendeiner Situation so gefühlt haben kann. Es ist nur menschlich – und für viele wahrscheinlich immer noch sympathischer als das krasse Gegenteil, sich für besser als andere zu halten. Bescheidenheit wird den meisten anerzogen. Aber wenn dieser Glaube zum ständigen Begleiter wird und jeden Aspekt des eigenen Lebens durchdringt – ja, was passiert dann?

Ständiger Stress durch das Impostor Syndrome

Erfolge können keine positiven Emotionen hervorrufen. Die Überzeugung sich doch beweisen zu müssen, dem positiven Bild anderer endlich gerecht werden zu können, führt zu ständigem Druck. Die dauerhafte Sorge als Hochstapler enttarnt zu werden. Sich unter Wert zu verkaufen und ausnutzen zu lassen. Sich abzukapseln, sich niemandem mit den Selbstzweifeln anzuvertrauen – all das lässt Betroffene ihre Selbstzweifel weiter internalisieren bis sie zur Grundeinstellung geworden sind. Und damit gerät man gefährlich leicht in einen Teufelskreis: Du siehst dich selbst im schlechtesten Licht, Lob und Zuspruch anderer fühlt sich unverdient an. Also arbeitest du mehr und härter, um Lob und Zuspruch „wirklich“ zu verdienen. Der Indikator für deinen Erfolg ist aber nicht deine innere Stimme, sondern der externe Zuspruch. Den du aber für illegitim und unverdient hältst.

Das Impostor Syndrome hat in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen, besonders im Kontext der Karriere jüngerer Generationen und Frauen. Untersucht wird das Phänomen aber schon länger. Erste Studien wiesen daraufhin, dass gerade Frauen häufiger betroffen sind. Wieder andere Studien lassen vermuten, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Pauline Rose Clance, die die Erforschung des Phänomens begann, hat später nicht nur weitere Studien und Reviews ihrer Forschungsergebnisse angestoßen, sondern im Nachhinein auch festgestellt:

If I could do it all over again, I would call it the impostor experience, because it’s not a syndrome or a complex or a mental illness, it’s something almost everyone experiences.

Pauline Rose Clance in „Presence: Bringing Your Boldest Self to Your Biggest Challenges“ von Amy Cuddy

Nahezu jeder kennt dieses Gefühl. Aber man kann vermuten, dass insbesondere der sozialpolitische Hintergrund eine große Rolle spielt. Personen, die in ihrem Umfeld als Minderheit gelten oder sich auch selbst als solche wahrnehmen, sind anfälliger für diese Art der Wahrnehmung. Wer immer wieder gehört und erfahren hat, dass sie anders seien, nicht dazu gehören, sind sich bewusst, welche Stereotypen auf sie projiziert werden können – und werden nicht in diese Falle geraten wollen. Wer immer wieder in diese Gedankengänge gedrängt wird, ist einem höheren Risiko ausgesetzt, bestimmte Annahmen zu verinnerlichen. Wenn du als Schulkind immer wieder hörst, du seist einfach schlecht in Fach X, wirst du anfangen, das zu glauben – und Erfolge mit Zufall oder Glück begründen.

Warum dir fake it till you make it nicht weiterhilft

Was aber kann man denn genau tun, um dieses Gefühl und Gedankenmuster hinter sich zu lassen? Fake it till you make it ist für viele die nahe liegende Taktik. Aber gerade die ist tückisch und leitet Betroffene weiter in den oben beschriebenen Teufelskreis: Noch weiter gehen, noch härter arbeiten, um das Lob endlich zu „verdienen“ – dem Lob, dem man doch keinen Glauben schenkt. Der einzige Weg ist – wie üblich – der unbequemste: Auseinandersetzung.

Vor einiger Zeit habe ich die angepasste Version des Spruchs gelesen:

Face it till you make it.

Letztendlich ist und bleibt das der einzige Weg, um Probleme zu bewältigen. Überhaupt erkennen, dass es ein Problem gibt. Das Problem im weiteren Kontext und Detail analysieren und verstehen. Identifizieren, was Auslöser sind und Taktiken entwickeln, um dem entgegenzuwirken. Und das ist viel Arbeit – aber so lohnenswert.

Warum glaubst du, nicht genug zu sein?

In welcher Art und Weise glaubst ein Fake zu sein?

In welchen Situationen ist das Gefühl am stärksten?

Was sind die Fakten?

Ein Beispiel: Für mich fing es wie bei vielen anderen auch in der Schule an. Gute Noten waren für mich eine wichtige Bestätigung. Es kam auf die Note an, nicht auf die Qualität der erbrachten Leistung. Ich habe Jahre gebraucht, um selbst mit meinen Leistungen zufrieden zu sein, anzuerkennen, ob etwas gut ist und mich nicht nur auf externes Feedback zu verlassen. Und ergänzend Lob aber auch anzunehmen. Damit kämpfe ich noch immer, aber mir ist endlich klar: Herunterspielen bringt nichts. Denn hinter Fähigkeiten steckt harte Arbeit. Und die klein zu reden, macht es anderen nur schwerer: „Ich bin halt einfach nicht gut in XY, also lasse ich es gleich.“ Stattdessen möchte ich viel lieber zeigen, dass man natürlich Talente haben kann – aber man kann nahezu fast alles erlernen. Viel lieber finde und zeige ich Wege, wie man besser werden kann und es für andere zugänglich macht. Zweifel sind immer noch da – das ist normal – aber ich will sie nicht mehr bestimmen lassen, wie ich mit meinem Umfeld interagiere.

Ein Plädoyer für mehr Offenheit

Wir sollten die Scham, die mit vermeintlichem Versagen einhergeht, auflösen und sie als das erkennen, was sie wirklich ist: eine Chance. Eine Chance herauszufinden, was (nicht) funktioniert, was man besser machen kann und ob man es überhaupt besser können muss. Wie Clance letztendlich festgestellt hat: Das Impostor Syndrome ist nicht personenspezifisch, sondern eine universale, menschliche Erfahrung.

Nicht fake it till you make it, sondern face it till you make it. Im Leben werden wir alle noch genug Hindernissen begegnen – da sollten wir uns selbst kein weiteres sein.

3 Tipps, um endlich anzufangen | Motivations-Hacks

Mit Prokrastination ist das so eine Sache. „Das ist eine echt gute Idee, aber ich bin gerade zu müde, um sie umzusetzen“ oder „Das muss ich echt machen, aber heute lohnt es sich nicht mehr“ – das sind Sätze, die wir ständig denken. Manchmal denke ich, dass ich das noch stärker und häufiger mache als andere, aber das stimmt vermutlich nicht. Wir reden nur ungern darüber. Denn spätestens nach dem dritten, vierten Mal würde unser Gegenüber aussprechen, was wir selbst zu verdrängen versuchen: Mach doch einfach. Später machst du es eh nicht.

Warum wir so ticken, hat viele verschiedene Gründe. Nach einem langen Arbeitstag ist man wirklich müde und fühlt sich unmotiviert, Sport zu machen, zu lernen oder einem Projekt Zeit zu widmen. Da vermischt sich Erschöpfung häufig auch mit Bequemlichkeit. Das muss auch nicht unbedingt negativ sein – wir brauchen Gelegenheiten, um unsere Akkus aufzuladen. 24/7 immer 100% geben, das kann niemand. Manchmal kommt dann auch Angst dazu. Angst zu versagen oder etwas nicht gut genug zu machen. Wenn man sich noch nicht bereit fühlt, etwas anzugehen und Angst vor einer vermeintlichen Blamage hat. Die Kernfrage ist dabei aber: Wirst du jemals bereit sein?

Ich decke gerne alle drei Varianten und ein paar weitere Variablen gleichzeitig ab bzw. begründe sie miteinander. „Ich bin zu müde, um das jetzt anzugehen und wenn ich es doch versuchen würde, käme eh nur Mist dabei heraus und dann ist es für immer ruiniert.“ Blöd nur, dass das nicht stimmt. Das weiß ich auch selbst. Hilfreich, wenn zur Aufschieberitis noch dieses eklige Schuldgefühl dazu kommt. Und die Liste an to-dos wächst und wächst und mit ihr das Unwohlsein.

Da hilft nur eins: Einfach machen. Über Sheryl Sandberg kann man denken, was man möchte, aber ihr Spruch „done is better than perfect“ hat einen wahren Kern. Entweder machst du dich an deine Aufgabe, die du vor dir her schiebst aus Angst sie nicht gut genug umzusetzen, oder du erledigst sie gar nicht. Ersteres gibt dir die hohe Chance, dass es dir doch (gut genug) gelingt, letztere gibt dir gar keine – da passiert schlichtweg nichts. Vertane Chance.

Wenn dir (wie mir so oft) immer noch der Anreiz fehlt, dich ans Werk zu machen, gibt’s hier meine drei Lieblingstipps.

Pro und Contra Liste

Was ist das allerschlimmste mögliche Resultat, wenn du das Projekt jetzt angehst? Wie wahrscheinlich ist dieses Resultat? Was spricht sonst noch gegen dein Aktivwerden? Und was spricht dafür? Du fühlst dich besser, weil du es endlich angegangen bist. Beim nächsten Mal wird es vielleicht sogar leichter, weil du deine Hemmschwelle schon einmal überschritten hast. Was ist das bestmögliche Resultat? Wie wahrscheinlich ist es im Vergleich zum schlimmsten? Ich möchte wetten, dass du mehr Pro-Punkte finden wirst.

Fünf Minuten hat jeder

Schon in meinem Studium hat mir dieser Ansatz immer geholfen. Fünf Minuten wirst du Zeit finden, fünf Minuten lang kannst du Netflix pausieren und lernen. Und aus den fünf Minuten werden dann schnell zehn Minuten (wenn ich schon mal dran bin), aus den zehn dann zwanzig oder dreißig und dann erscheint dir eine weitere halbe Stunde auch nicht mehr so hart. Wenn du doch eh schon dran bist. Und wenn du nach fünf Minuten wirklich absolut keine Lust mehr haben solltest, hast du immerhin fünf Minuten was gemacht – besser als gar nichts.

Schau dahin, wo es wehtut

Zugegeben, das hier ist kein Quick Fix, sondern mühsamer. Aber umso lohnender. Konfrontiere den Grund für dein Verhalten. Warum scheust du dich so sehr davor? Manchmal sind die Gründe leicht zu entdecken und es gibt Lösungen, die vielleicht nicht unbedingt bequem, aber machbar sind. Wenn du nach der Arbeit zu müde bist, mach vor der Arbeit Sport oder geh in der Mittagspause spazieren. Das ist vielleicht unschön, aber wenn du weißt, dass deine Erschöpfung nach der Arbeit nicht so schnell verschwinden wird, muss ein anderes System her. Das System muss für dich funktionieren, nicht du für das System. Sind die Gründe aber komplexer oder du weißt nicht so genau, wo die Ursache liegt, musst du tiefer graben. Tausche dich mit engen Bekannten aus oder zwing dich für eine halbe Stunde (kein Fernseher, kein PC, kein Handy!) mit dir selbst allein zu sein. Nimm dir Stift und Block und schreibe ganz frei runter, was dich blockiert. Ein Beispiel: „Ich möchte an meinem Blog arbeiten, aber gleichzeitig fühle ich mich jedes Mal überfordert, wenn ich dran denke, mich vor meinen Laptop zu setzen und weiß nicht, wie ich anfangen soll…“. Das muss kein Roman werden und bei Weitem nicht für andere verständlich sein – du sollst einfach ohne zu überlegen drauflos schreiben (oder reden!).

Manche Probleme sind noch tiefgehender. Depressionen oder Burnout beispielsweise. Ich bin ohnehin der Ansicht, dass mehr Menschen Therapie in Anspruch nehmen sollten. Aber ganz besonders, wenn du vermutest oder weißt, dass deine Blockade einen solchen Ursprung haben könnte, dem du dich allein nicht gewachsen fühlst – such den Kontakt zu einem Profi.

Solche Tipps bewirken keine Wunder und sonderlich originell sind sie nicht – aber sie funktionieren. Dieser Post kam gerade dank Tipp Nummer 2 zustande. Das sind Techniken, die man trainieren kann und dir helfen, eine andere Perspektive einzunehmen. Je öfter du sie anwendest, desto einfacher wird es. Das erfordert Arbeit. Aber wenn du erwartest hast, dass hier ein Zaubermittel auf dich wartet, müssten wir nochmal ernsthaft miteinander reden.

Also auf geht’s. Fang an – wenigstens für fünf Minuten.

Ab wann bin ich Experte? Wie Begrifflichkeiten uns einschränken können

Ab wann darf man sich eigentlich Experte schimpfen?

In meinem mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Job bin ich beispielsweise zu der Person geworden, die bei jeglichen Powerpoint-Fragen zu Rate gezogen wird. Dass ich dazu nie einen Kurs gemacht hatte und vorher ehrlicherweise bestenfalls okay mit der Office-Anwendung umgehen konnte, will ich einerseits nicht zu laut sagen – und andererseits jedem mitteilen.

Angst vor der Verantwortung

Denn vieles lässt sich durch Nachfragen, Nachahmen, Zeigen lassen und Üben erlernen. Und das sage ich nicht, weil ich Menschen ungern helfe – im Gegenteil. Ich möchte, dass Menschen ihre eigene Fähigkeit, ihr eigenes Potenzial verstehen und nutzen lernen. Zum einen ist es echt praktisch, zum anderen ist es ein verdammt gutes Gefühl. Sich hinter Begrifflichkeiten wie Experte, Profi oder Amateur zu verstecken, hemmt ungemein – vor allem in der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt.

Viele, die ich kenne, scheuen sich davor klar auszusprechen, dass sie wissen, was sie tun und sich auskennen – mich selbst eingeschlossen. Denn damit erhöhen sich die Erwartungen anderer. Man muss liefern, sonst wird’s peinlich. Und deswegen lässt man es lieber gleich. Blöd nur, dass niemandem damit geholfen ist. Wenn jeder so denkt, findet sich niemand für die Aufgabe bzw. den Job. Blöd gelaufen.

Eine neue Lernkultur – fernab von Hierarchien

Statt uns im binären Denken an Begriffen wie Experte und Laie aufzuhängen, sollten wir es normalisieren, Dinge zu sagen wie „Ich mache das noch nicht so lange, aber ich kenne mich darin einigermaßen aus“ oder „Ich kann das recherchieren und etwas zusammenstellen. Den Feinschliff können wir dann gemeinsam machen“ ohne sich damit selbst ins Bein zu schießen. Unternehmen müssen verstehen, dass eine offene Kommunikation immer besser sein wird als ein Haufen von Lügnern, die sich als die eierlegende Wollmilchsau darstellen.

Denn wenn wir alle darauf warten, dass sich der Profi oder Experte der Sache annimmt, wird nie etwas geschehen – und man selbst wird wichtige Erfahrungschancen verpassen. Keiner ist als Alleskönner aus dem Mutterleib gekrochen, aus der Schule, Ausbildung oder Studium gekommen. Was uns gut in etwas macht, ist das tatsächliche Machen. Das Recherchieren, das Ausprobieren, das unzufrieden Sein und nochmal neu, beim nächsten Mal besser Machen.

Fail smart and mindfully

In der Startup-Kultur spricht man gern von „fail fast“, was nett klingt, die Sache aber zu simplistisch darstellt. Failure bzw. Scheitern allein bringt nur etwas, wenn man auch etwas dazugelernt hat und ein Projekt nicht wissentlich gegen die Wand gefahren hat. „Fail smart and mindfully“ fände ich persönlich besser – klingt halt nicht ganz so cool.

Aber wer bin ich schon, mich als Berufseinsteiger hier hinzustellen und von Expertentum zu sprechen? Nun, ich bin eine Person, die jede Gelegenheit zum Dazulernen nutzt, Dinge kritisch beobachtet und sich daran stört, dass Karrieretipps nur von „Experten“ stammen. Klar wissen die, wovon sie reden; klar sind das nützliche Erfahrungswerte. Aber manche Fragen, die man sich als Berufseinsteiger stellt, sind für die „alten Hasen“ längst kein Thema mehr – zum Beispiel, ob man sich denn nun Experte schimpfen darf oder nicht.

Man hört niemals auf zu lernen

Letztlich will ich Menschen einfach mit auf den Weg geben, dass man kein Experte sein muss, um zu wissen, was man tut.
Der Fingerschnips-Moment „So, jetzt bin ich Pro“ wird nicht kommen, man wird einer. Wer Experte ist und verlernt zu lernen, wird nicht allzu lange einer bleiben. Wer einen offenen Geist hat, bereit ist, jeden Tag zu lernen und nicht vor Herausforderungen davonrennt, ist nicht nur eine ziemlich coole Socke, sondern auch auf dem besten Weg ein Experte zu werden.

In dem Sinne: Hi, ich bin Sirona und bin zwar kein Karriere-Experte, aber lass uns doch drüber reden, wie das so ist mit der Arbeitswelt. Ich kann übrigens ganz interessante Dinge schreiben und hab ein gutes Gefühl dafür, was blöd und was gut aussieht. Freut mich, dich hier zu sehen.

Medienkonsum: Warum ich gerne die Spielverderberin bin

Um mit mir Filme oder Serien zu sehen, muss man Nerven haben – dessen bin ich mehr sehr bewusst. An meinem Verhalten (in diesem Kontext) werde ich in naher Zukunft dennoch nichts ändern – denn ich bin der festen Überzeugung, dass Medien kritisch betrachtet werden sollten. Und das gilt vor allem für Unterhaltungsmedien. Das bekommt der Freund derzeit wieder schwer zu spüren, denn wir schauen Penny Dreadful – er zum ersten Mal, ich zum zweiten Mal und habe deswegen natürlich umso mehr Vorwissen und Anlass zum Kommentieren. Was ich sehr oft tue. Ich liebe diese Serie über alles – gerade weil sie so unperfekt ist, ihre Probleme hat und sich so herrlich kontrovers diskutieren lässt. Aber warum kann man denn Unterhaltung nicht einfach als Unterhaltung genießen, vollkommen frei von Interpretationen und Ideologien? So gut gemeint der Wunsch nach Unterhaltung um der Unterhaltung Willen auch sein mag, ich halte ihn nicht nur für unerfüllbar, sondern auch für naiv.

Kinder durchleben im Laufe ihrer Entwicklung verschiedenste Phasen – Erwachsene genauso, wir neigen nur dazu das zu ignorieren. Manche Erwachsene bleiben sogar ganz Kind. Und Medien haben einen wahnsinnigen Einfluss auf diese Phasen, dazu muss man nur an Fastnacht, Halloween oder Eltern auf ihre Kinder im Elsa-Kostüm ansprechen. Man erinnere sich auch an den Trubel um Harry Potter in den 90ern und 00ern und wie die Fantasy-Reihe auch jetzt noch (m)eine Generation bewegt. Obwohl wir doch wissen, dass Kinder jeglichen Input um sich herum wie Schwämme aufsaugen – wenn auch glücklicherweise nicht immer ganz unkritisch – fehlt oft das Bewusstsein für die Inhalte, die wir ihnen vorsetzen. Und selbst wenn man sich dessen bewusst ist, fällt die Selektion schwer. Und das nicht ohne Grund, wenn es doch oft genug die Erwachsenen sind, die vollkommen unkritisch Medien konsumieren. Wenn Frauen 50 Shades of Grey als romantisch-erotisch wahrnehmen und es ihnen auch so verkauft wird, trotz der offensichtlichen Parallelen zu häuslicher Gewalt, Missbrauch und Manipulation, dann fragt man sich, in welchen Maßen der moderne Mensch wirklich emanzipiert und kritisch Medien konsumiert. Auch wenn wir alle Dinge hinterfragen können, muss das kritische Betrachten von Medien meist erst gelernt werden. Und mit kritischem Betrachten meine ich nicht die trump’sche Trotzreaktion, wenn etwas nicht gefällt, sondern Muster, subtile und nicht immer absichtliche Nachrichten zu erkennen. Die Werkzeuge dafür, werden im Laufe der Schulzeit meist angedeutet oder vielleicht sogar gegeben, aber vielen auch im gleichen Schritt schon madig gemacht. Wenn Schüler  – und Lehrer! – in der Interpretation von Texten nur eine langweilige Pflichtübung sehen und nicht das Erlernen eines tieferen Verständnisses, wie kann man dann Interesse daran entwickeln auch im eigenen Alltag später Medieninhalte zu verstehen?

Es wäre wahrscheinlich eine angenehme Abwechslung, wenn man einen Film oder eine Serie anschalten könnte, die man vollkommen unpolitisch betrachten könnte. Einfach nur unterhalten werden ohne sich Gedanken machen zu müssen – das wünsche ich mir selbst oft genug, denn auf Dauer kann es auch sehr anstrengend sein, in jedem Kontext das Positive und Negative zu sehen. Aber die Grenze zum mutwilligen Ignorieren und Schönreden ist schnell überschritten. So wie es angenehmer wäre, jedes Zurufen und Nachstarren auf den Straßen zu ignorieren, will man doch einfach Ruhe und kann solche Geschehnisse nur aktiv verdrängen. So lernt man auch in Filmen und Serien Gegebenheiten zu bemerken, die einem (unangenehm) auffallen – und es ist schwieriger im Nachhinein diese aktiv zu ignorieren, um Medien bloß zur Unterhaltung zu konsumieren. Es hat seinen Grund solche Gegebenheiten zu bemerken, denn es zwingt dazu sich mit ihnen auseinanderzusetzen, man entwickelt eigene Standpunkte und es macht einem zum mündigen Rezipienten. Wer sich kritisch mit Inhalten auseinandersetzt, wird zum aktiven Part statt zum passiven Rezipienten.

Und diese aktive Rolle lässt einen mitgestalten – nicht immer direkt, aber dennoch aktiv. Aber warum sollte ich Filme und Serien mitgestalten wollen? Ich will sie doch nur sehen? Wer kritisch Medien konsumiert, sein Feedback teilt und bewusst Inhalte wählt, die er sehen möchte, der vermittelt, welche Inhalte gut ankommen. Stark vereinfacht gesprochen: Wer Filme mit schlecht entwickelten Charakteren und langweiligen Handlungen kritisiert, anderen davon abrät, sich diese Filme anzusehen und sie selbst nicht rezipiert, vermittelt damit einen klaren Standpunkt. Schließen sich dem genug Menschen an, müssen Filmemacher reagieren und nachforschen, wo das Problem liegt. Auf Dauer werden sie gezwungen sein, Filme mit komplexeren Charakteren und interessanteren Handlungen zu machen. Schweigt aber jeder bei solch schlechten Filmen und schaut sie sich trotz der schlechten Qualität an, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt irgendwer den Mund öffnet. Medieninhalte sind ein maßgeblicher Teil unserer Gesellschaft, sie sind eng verwoben mit der öffentlichen Meinungsbildung – selbst wenn es fiktive, unterhaltungsorientierte Inhalte sind – und unterliegen ständigem Wandel. 50 Shades of Grey mag erfolgreich sein und eine riesige Fangemeinschaft haben; aber da gibt es auch die Menschen, die die Bücher und Filme offen kritisieren, die Probleme zum Thema machen und andere Personen damit sensibler für diese Themen machen.

Auch Unterhaltung vermittelt Wert – und das oft mit so viel mehr Schlagkraft als erzieherische Versuche, eben weil Unterhaltung subtiler funktioniert. Sieht ein Kind umso mehr Filme und Serien, die Mädchen als passive Prinzessinnen zeigen, die auf Rettung angewiesen sind, und Jungen als starke Helden, die niemals Angst haben und Gefühle zeigen dürfen, wird diese Auffassung mit jedem Inhalt mehr verstärkt bis die Kinder sich gar nicht mehr bewusst sind, dass das ursprünglich gar nicht ihre eigene Idee war. Wir können uns diesen subtilen Nachrichten niemals ganz entziehen und Medieninhalte möchten diese Werte womöglich gar nicht bewusst vermitteln – diese Inhalte werden schließlich auch nur von Menschen gemacht, die selbst mit unterschwelligen Nachrichten konfrontiert werden. Aber sprechen wir darüber, wie wir etwas wahrnehmen, kritisieren es, diskutieren darüber und tauschen uns aus, dann profitieren wir alle von diesem Lernprozess.

Ein GIF von Gilmore Girls zu Filmen

Von der Kunst den Mund aufzumachen

Prägende Erlebnisse erkennt man häufig erst im Nachhinein als die einschneidenden Momente, die sie sind. Meine letzte größere Offenbarung dieser Art trat mit etwa fünf Jahren Verspätung ein. So viel zum Thema mein Dickkopf und ich.

Es war einer der alltäglichen Momente im Aufenthaltsraum der Oberstufe, eine der alltäglichen Diskussionen, die ich mit einem Mitschüler zu haben pflegte. Er war überzeugter konservativer CDU-Wähler, ich überzeugte keine-Ahnung-irgendwie-sind-alle-scheiße-Wählerin. Es war eine Beziehung, die ich, trotz der fundamentalen Unterschiede in nahezu allen unserer Überzeugungen, sehr schätzte – denn wir diskutierten wirklich, oft vehement, nie einig, aber jedes Mal erhellend. Sollte diese Person das heute lesen: Beste Grüße! Ich habe damals auch Überzeugungen vertreten, die mich heute nur verzweifelt den Kopf schütteln lassen – hoffe, dir geht’s auch so.

Anlass dieser einen spezifischen Diskussion war sein Statement, dass Frauen daheim an den Herd gehörten, sie sollten bei der Familie bleiben und höchstens Teilzeit arbeiten gehen. Meine Position kann man sich denken: Geht’s noch? So diskutierten wir, kassierten mit Sicherheit den ein oder anderen genervten Blick unserer Mitschüler – ich mag es mir auch eingebildet haben – bis wir abermals an den Punkt kamen, dass jeder seine Argumente verschossen hatte und keiner vom anderen überzeugt zurück blieb. Sein abschließendes Statement kam mir erst vor Kurzem wieder in den Kopf: „Du bist ja eh so eine.“ Auf meine Nachfrage hin, was für eine ich denn genau sei, bekam ich nur sein genervtes Kopfschütteln zurück. Bis heute frage ich mich: Was bin ich denn nun eigentlich für eine?

Im Studium war meine Antwort selbstbewusst, dass ich eine Feministin sei – heute fällt sie ähnlich aus, aber immer mit einem erklärenden Nebensatz. Dass der Begriff ein Image-Problem hat, ist bei weitem nichts Neues – die einen schreien wie vom ersten Tag an, dass der Feminismus mit Männerhass gleichzusetzen sei, während die anderen stolz ihr „Feminist“-Shirt für 10 Euro tragen (been there, done that). Deshalb ist es mir wichtig meinem Gegenüber zu erklären, warum ich mich so verstehe und wie ich den Feminismus auslege – denn der kann wie nahezu jede Bewegung unterschiedlichste Formen annehmen. Meine Sorge ist weniger die persönliche Ablehnung meines Gegenübers, auch wenn das durchaus ein Punkt sein kann, sondern dass eine weitere Person abblockt, ehe sie den tatsächlichen Kern der Sache verstanden hat. Veränderungen sind selten sanft und machen es nie jedem recht – gesellschaftliche erst recht nicht – aber ich sehe größeren Nutzen darin Vorurteile ab- und Verständnis aufzubauen. Ich vertrete meine Meinung klar und deutlich, möchte aber auch diskutieren.

Oder um es mit einer Passage aus Margarete Stokowskis „Unterum frei“ zu sagen:

„Eine Haltung zu haben bedeutet auch, dass man nicht „eigentlich“ für etwas ist, sondern wirklich. Dass man seine Werte im Konfliktfall verteidigt und nicht ausblendet. Das heißt nicht, dass man den ganzen Tag mit Leuten streiten muss, denn das hält keine Sau aus, und man stirbt dann an einem Magengeschwür, bevor die Revolution fertig ist. […] Wir hören dann entweder, dass wir uns unrealistisch viel vorgenommen haben und es ein solches Maß an Freiheit nie geben wird. […] Oder wir hören, es sei vielleicht ein bisschen übertrieben, für Gleichberechtigung zu kämpfen, im 21. Jahrhundert, in Europa, denn so schlimm ist es hier ja wohl nicht. […] Was ist das für ein Bild von Geschichte, in dem Ungerechtigkeiten von allein weggehen?“ (Seite 192f.)

Wir müssen reden, diskutieren, auch mal streiten. Kein Problem hat sich jemals durch Schweigen und Ignorieren gelöst. Allzu oft verwechselt man das heute mit „Das wird man doch noch sagen dürfen“, dem Arschlochsein unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Sag‘ deine Meinung, aber wenn du das nur tust, um anderen auf die Füße zu treten, während du jeden Hauch eines Gegenworts ablehnst – dann, mein Freund, darfst du das, aber du bist leider ein Arschloch.
Es ist witzig, dass eine Äußerung zur Meinungsfreiheit als Menschenrecht fälschlicherweise oftmals Voltaire zugesprochen wird, obwohl es doch von der Autorin seiner Biografie, Evelyn Beatrice Hall, stammt: „I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it.“

Niemand wird gerne beim Sprechen unterbrochen. Niemand hört sich gerne von anderen an, welche Fähigkeiten er oder sie nicht hat – erst recht nicht, wenn die sich äußernde Person keine Grundlage für diese Behauptung hat. Niemand wird gerne klein geredet. Niemand erlebt gerne Ungerechtigkeiten und nimmt sie still schweigend hin – also warum sollte ich das tun? Manchmal ist es schwer den Mund zu öffnen, manchmal versteht man erst später, woher dieses Unwohlsein stammt und bereut es, nicht sofort etwas erwidert zu haben. Wenn ich aber Leuten gegenüber stehe, die ich mag, mit denen ich zusammen arbeite oder sonst wie in Verbindung stehe, will ich nicht „so eine“ sein. Wir Menschen wollen gemocht werden, das liegt als soziales Wesen regelrecht in unserer Natur. Aber dem gegenüber steht der Drang, sich zu wehren – und das Wissen, dass es sich wahrscheinlich wiederholen und zum Muster werden wird, wenn man nicht jetzt handelt.

Möchte ich die Person sein, bei der man nicht entspannt reden kann? Möchte ich die Person sein, die man nicht bei seinen Projekten dabei haben will, weil sie nur aufmuckt? Möchte ich meine Karriere damit sabotieren, weil ich nicht stillschweigend hinnehme, was sich nicht richtig anfühlt?

Wie unwahrscheinlich es aber ist, dass man als Frau ohne Grund, vollkommen spontan und nicht durchdacht, eine Diskussion beginnt, das wird gerne vergessen. Zu artikulieren, dass man etwas unfair und unangebracht findet, kostet Kraft, Zeit und macht einen verletzlich. Schließlich äußere ich damit, dass es mich in irgendeiner Form betroffen macht. Oder um es mit einer Passage aus Natalie Portmans Rede auszudrücken: „Stop the rhetoric that a woman is crazy or difficult. If a man says to you that a woman is crazy or difficult, ask him: „What bad thing did you do to her?“ ( ab 12:04). Zu groß ist das Bedürfnis akzeptiert und gemocht zu werden, zu stark der anerzogene Drang sich anzupassen.

Dabei profitieren wir alle von solchen Diskussionen. Wer immer nur im selben Teich fischt, im eigenen Saft schmort, wird sich auch nie verändern, nie besser werden. Wir alle verfügen über eine unglaubliche Vielzahl an Erlebnissen, Erfahrungen und Wissen – wenn wir sie miteinander teilen, in einem Umfeld, das Diskussion nicht scheut, sondern pflegt – lernen wir dann nicht alle voneinander und wachsen gemeinsam?

Wenn ich meinem Gegenüber sage, dass ich sein Statement für unangebracht halte und meine Gründe erkläre, gebe ich dieser Person die Möglichkeit eine andere Erfahrungswelt zu verstehen und in Zukunft darauf zu achten. Wenn ich das Statement vielleicht falsch interpretiert habe und mir die andere Person ihre eigentlichen Gedanken dahinter verrät, kann auch ich von einer anderen Erfahrungswelt profitieren. Diskussionen, ehrliche Meinungsäußerung und -austausch kosten Zeit, Energie und manchmal Nerven. Aber wenn man respektvoll miteinander diskutiert, enden sie häufiger in einer Win-Win als in einer Lose-Lose-Situation oder einem Nullsummenspiel.

Und damit soll dieser Text ein Reminder sein – für andere wie für mich – dass niemand gewinnt, wenn man im Stillen beleidigte Leberwurst spielt. Wir müssen den Mund aufmachen, wenn wir reden wollen. Und nur wer redet und handelt, verändert.

Sirona Viola

Blicke deiner eigenen Schwäche ins Gesicht

Neulich fragte mich mein Freund: „Wie kommt es, dass du dich nach außen immer so tough gibst, wenn du dir innerlich alles so zu Herzen nimmst?“
Mein erster Gedanke war: Warum fragst du das nach all den Jahren, du kennst mich doch? Mein zweiter Gedanke war: Ich kenne die Antwort nicht mal selbst.

Den ersten Teil der Frage kann ich eher begründen als beantworten: Ich zeige Menschen, vor allem im professionellen Umfeld, nur ungern Verletzbarkeit. Denn hat man sie ein Mal durchblicken lassen, kann man diesen Eindruck nicht zurücknehmen. Wir alle wollen verständlicherweise steuern, wie andere uns wahrnehmen. Und gerade im Beruf rutscht man als junge Frau schnell in das Mädchen-Schema zurück, in die Verletzbarkeit wird Schwäche und Unreife gelesen. Wer Verantwortung übernehmen und Richtung zeigen soll, muss ein Fels in der Brandung sein und niemals wanken. So zumindest die theoretische Auffassung. Ein Gedanke, den sicherlich nicht nur Frauen im Laufe ihrer Karriere haben, sondern gerade auch Eltern und natürlich Männer. Wir alle hadern mal mehr, mal weniger mit unserem Image.

Denn wer will schon als schwach gelten? Als eine Person, die sich alles zu Herzen nimmt, und nicht belastbar ist? Und hier liegt der Widerspruch.

Wer sich auch nur am Rande mit Themen wie Führung im Job, agiles Management oder auch Erziehungsthemen auseinandersetzt, wird hören, dass gute Vorbilder und Verantwortungstragende Fehler und Unsicherheiten zugeben. Eine menschliche Seite zeigen, um auch andere dazu zu bewegen, sich zu offenbaren. Vertrauen ist die Basis jeder guten Zusammenarbeit und es kann nur existieren, wenn man offen und ehrlich miteinander ist. Wer immer sicher und stark ist, wirkt bestenfalls unnahbar, schlimmstenfalls arrogant und realitätsfern.

Sich einer Sache mal nicht sicher zu sein, ist nicht schlimm – durch Diskussionen und gemeinsames Abwägen lassen sich Lösungen besser finden als wenn man alleine vor sich hin grübelt. Sich Dinge zu Herzen zu nehmen ist nicht schlimm – das zeigt, dass sie einem wichtig sind. Zu demonstrieren, dass man verletzlich und trotzdem fähig sein kann, zeigt, dass Verletzbarkeit kein Makel, sondern menschlich ist. Und dass man damit umgehen kann.

Ich werde mir manche Dinge immer noch mehr zu Herzen nehmen als es sein muss. Aber ich will anerkennen, dass mich das nicht schlechter oder weniger verletzbar macht. Denn dieses Fühlen und Nachdenken hat mich im Endeffekt immer besser gemacht: Ich setze mich intensiv mit etwas auseinander, verstehe Situationen dadurch besser und finde Lösungen. Und wenn’s nur die Erkenntnis ist, dass es die Aufregung nicht wert ist.

Daher mein Appell an dich: Verdränge nicht deine vermeintliche Schwäche, sehe sie klar und deutlich – und mache sie zu deiner Stärke. Denn was uns stark macht, ist menschlich zu sein.

Du bist nicht originell

Die Wahrscheinlichkeit, dass du eine nie da gewesene, komplett von allem bisher gewesenen abhängige Idee hast, ist extrem gering. Das Rad kann man nun mal nur so oft neu erfinden. Du bist auch nur so besonders wie die nächstbeste Person.

Und weißt du was? Das ist nicht schlimm. Du bist nicht spezieller als andere – aber auch nicht schlechter.

Die vergangenen Monate hat sich bei mir immer wieder der Gedanke eingeschlichen, dass man, um zufrieden und erfolgreich zu sein, in gewisser Weise ein bisschen dumm sein muss. Nicht gemessen am IQ oder an der Hochschulbildung, sondern in dem Sinne, dass man die Realität stark verzerrt sieht und sich selbst gnadenlos überschätzt. Das ist nicht mein menschenfreundlichster Gedanke gewesen, aber definitiv menschlich – denn in erster Linie wuchs er aus meinem Neid heraus, dass andere einfach selbstüberzeugt Dinge angehen: „Dieses Konzept/diese Idee/dieses Produkt ist so offensichtlich lückenhaft/langweilig/unoriginell/zig Mal da gewesen, wie kann diese Person so fest überzeugt von ihrem Projekt sein und nicht peinlich berührt sein?“
Ich habe auch Ideen und Projekte, die ich vorantreiben will, aber ich weiß, dass sie nicht perfekt sind und arbeite dran, das zu verbessern – also bin ich doch offensichtlich besser. Oder?

Mal abgesehen davon, dass das ein ziemlich selbstzentrierter Gedankengang ist, steckt gerade in dieser Denke das Problem. Originalität wird oft so verstanden, dass man eine Idee aus dem Nichts heraus in die Welt bringt und es nichts Vergleichbares gibt. So einfach ist es aber nun mal nicht – sonst gäbe es heute auch nicht das geliebte Facebook, Twitter, Instagram und Co. Nach AOL, Foren und MySpace wäre da nicht mehr allzu viel herum gekommen. Trotzdem würden wir nicht sagen, dass Facebook, Twitter und Instagram sich allzu sehr ähneln. Sie konkurrieren miteinander, bauen gleiche ähnliche Features ein (*hust*Stories*hust*), aber der Drang sich voneinander abzusetzen und besser zu sein, fördert die Entwicklung im guten wie im schlechten Sinne. Und das lässt sich in vielerlei Hinsicht auch auf andere Bereiche übertragen. Des Pudels Kern und mein Problem war (und ist) letztlich, dass ich mich so im Versuch „originell“ zu sein und in der Perfektion verbissen habe, dass ich mich selbst damit gelähmt habe. Obsessiv über Dingen zu verharren, bringt einen nicht voran – Lösungen für Probleme suchen und umsetzen schon. Und dieses „einfach tun“, sich damit in die Öffentlichkeit zu bringen und verletzlich für Kritik zu machen, erfordert immer wieder Selbstbewusstsein – was so manche nicht ganz extrem selbst-reflektierte Person vielleicht besser kann als (selbst-)kritische Personen, die sich in Analyse nach Analyse verrennen.

Mit diesem Text sollen offensichtliche Nachahmungen und Kopien absolut nicht ermutigt werden, sondern klar machen, dass man niemandem – am wenigsten sich selbst – hilft, wenn man sich im ständigen Vergleich mit anderen selbst Steine in den Weg legt. Denn die Kunst liegt darin sich Orientierungswerte zu suchen und verfügbares Wissen als Grundlage zu nutzen – die jeweiligen Probleme, denen man im Laufe der Umsetzung begegnet, und die verfügbaren Lösungsansätze allein werden das Projekt in eine einzigartige Richtung zu lenken. Denn Originalität bedeutet Echtheit und Eigenständigkeit, nicht „nie da gewesen“. Erst durch konkrete Überlegungen und Handlungen wachsen Projekte und Menschen.

Oder um es mal ganz unoriginell mit den Worten von Nike zu sagen: Just do it.

Ein Foto aus der Froschperspektive: Das Blickfeld liegt auf dem graubeigen Asphaltuntergrund, im Hintergrund sind blaue Gewässer zu sein. Im Fokus stehen die grauen Schuhe der Marke Nike, die eine hochspringende Person.trägt
Hat Nike mit „Just do it“ den generischsten und gleichzeitig absolut brauchbarsten Slogan überhaupt gefunden? Höchstwahrscheinlich.