Fit für Arbeit 4.0? – Die Skills der Zukunft

Die Digitalisierung ist nicht jedem geheuer, erst recht nicht in Deutschland. Und das ist verständlich, denn es liegt in der menschlichen Natur, Veränderungen kritisch gegenüber zu stehen. Veränderungen bringen unbekannte Variablen mit, stellen bewährte Strukturen auf die Probe und jagen uns damit aus unserer Komfortzone.

Sie bieten aber auch Chancen – im Fall der Digitalisierung eine langfristige Effizienzsteigerung, aber vor allem auch eine neue Definition des Begriffs „Arbeit“. Womit werde ich in Zukunft Geld verdienen? Was definiert eine sinnvolle Tätigkeit, wenn Jobs zunehmend automatisiert werden? Schon jetzt, vorangetrieben durch COVID-19, sitzen viele im Home Office und sehen sich mit der Frage konfrontiert: Wie wird meine Arbeit zukünftig aussehen?

Wir befinden uns schon seit Jahren im Umbruch. Doch dieser hat jetzt noch mehr Tempo aufgenommen. Die digitale Transformation ist ein fortlaufender Veränderungsprozess mit tiefgreifendem Einfluss auf uns als Einzelpersonen, auf uns als Gesellschaft, auf den Staat und die Wirtschaft. Da kann man nun in Panik geraten oder die Hände auf Augen und Ohren pressen und die Situation ignorieren bis man mit vollem Karacho gegen die Wand fährt – egal, für welche Variante man sich entscheidet, die Zukunft können wir dennoch nicht vorhersehen. Wir können spekulieren, Trends beobachten und versuchen einen educated guess zu formulieren. Wir können letztlich nur versuchen, uns bestmöglich vorzubereiten. Dann lässt man das auch fein mit der Karacho-Wand-Affäre – macht keinen Spaß, glaub’s mir.

educated guess:

a guess that is made using judgment and a particular level of knowledge and is therefore more likely to be correct

Cambridge Academic Content Dictionary © Cambridge University Press

Wenn ich jetzt einen educated guess formulieren müsste: Menschen werden in naher Zukunft als Arbeitnehmer nicht ersetzt werden, ihre Aufgabenstellungen und Verantwortlichkeiten werden sich aber signifikant verändern. Simple, repetitive Aufgaben werden automatisiert – nicht heute, nicht morgen, aber abhängig von der Komplexität der Aufgabenstellung wird es früher oder später passieren.

Aber es gibt Fähigkeiten und Aspekte unseres Daseins, die werden so schnell nicht ersetzt werden, eben weil sie uns so menschlich machen: Strategisches Denken, der Wille zu lernen und die daraus resultierende Fähigkeit querzudenken, auch gerne thinking outside the box geschimpft.

Strategisches Denken

Analytisches Denken kann bis zu einem gewissen Grad von künstlicher Intelligenz übernommen werden, natürlich – aber die Interpretation von Datensätzen, von Trends und menschlichem Verhalten kann nur bis zu einem gewissen Grad wegrationalisiert werden. Bisher wurde noch keine starke KI entwickelt, die dazu in der Lage wäre.

Schwache KI:
Regelbasierte Systeme, die Lösungen für bestimmte, vorab definierte Probleme suchen. Oberflächliche Problemlösung, die in ihrer Methode nicht variiert. Kann deshalb auch nicht auf Veränderungen adäquat reagieren.

Starke KI:
Systeme, die planen, lernen und entscheiden. Kombinieren eigenständig und weisen „logisches Denkvermögen“ auf, wodurch sie auf Veränderungen eigenständig und adäquat reagieren können.

Was ist strategisches Denken?

Strategisch denken heißt, zukunftsgerichtet zu denken und zu planen – basierend auf logischem Denken und Interpretation. Beim logischen Denken kommen zwei Schlüsselelemente zusammen: Zusammenhänge müssen verstanden werden und Kontext muss gegeben sein. Zusammenhänge und Kontext ermöglichen es, eigene Interpretationen zu formulieren und anhand dieser für die Zukunft zu planen.

Warum sich Maschinen mit Strategie schwer tun

Dabei wird das Menschliche immer elementarer werden. Anhand von Daten kann man zwar die Wahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse berechnen und anhand dieser Ziele formulieren. Aber da wo Menschen sind, kommen unzählige unbekannte Variablen zusammen. Als Mensch bin ich in der Lage das Verhalten anderer zu interpretieren und dieses in mein Denken einzubeziehen. Maschinen können lernen, Menschen zu lesen – aber sie zu motivieren, sie empathisch zu behandeln, das könnten sie nicht auf vergleichbarem Level nachahmen. Strategisches Denken ist mehr als Ziele formulieren – es ist das Interpretieren zahlreicher harter, datenbasierter und weicher, menschlicher Faktoren. Und das Formulieren einer Strategie setzt vor allem eins voraus: Eigenmotivation. Während Maschinen ein vorgegebenes Ziel benötigen, entstehen menschliche Ziele (und Träume!) aus vielfachen, komplexen Gründen.

Ein Beispiel:

Eine Maschine kann lernen, Diagnosen zu erstellen. Um möglichst präzise Diagnosen zu erstellen, muss die Maschine mit möglichst vielen Fallbeispielen „gefüttert“ werden. Es gibt nur das extern vorgegebene Ziel: akkurate Diagnosen formulieren. Ein Mensch muss zwar auch möglichst viele Beispiele und Fälle bearbeiten, um zu lernen – aber die Motivation ist nicht, Diagnosen zu stellen. Das Ziel eines menschlichen Arztes ist nicht, präziser sagen zu können, was dem gegenüber fehlt – sondern zu helfen. Und um dieses Ziel zu erreichen, reicht eine Diagnose nicht aus. Um zu helfen braucht zum Beispiel auch noch Empathie, eine vertrauenswürdige Ausstrahlung, beruhigende Worte – und nicht nur ein Ergebnis.

Der Wille zu lernen

Wer Lernen Teil des täglichen Lebens werden lässt, wer regelmäßig brainstormt, schreibt, zeichnet, dem wird vieles leichter von der Hand gehen. Und wer ständig ein bisschen lernt, der wird Freude daran empfinden und vor allem besser auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft positioniert sein.

Lernen, um relevant zu bleiben

Natürlich werden uns künstliche Intelligenz und Maschinen nicht komplett ersetzen können; aber wir müssen auch unseren Beitrag dafür leisten, uns nicht selbst obsolet zu machen. Die Arbeitswelt wird sich auch im veränderungsscheuen Deutschland mit zunehmender Geschwindigkeit wandeln und weiterentwickeln, da muss der Arbeitnehmer von heute Schritt halten können.

Allerdings sollten auf dem „Curriculum“ des modernen Arbeitnehmers nicht bloß spezifische Fähigkeiten wie bestimmte Programmiersprachen oder Sprachen stehen, sondern vor allem Soft Skills. Denn wer seine Führungsphilosophie weiterentwickelt und an Menschen ausrichtet, menschliches Verhalten versteht und Konflikte managen kann, wird in der Zukunft immer wichtiger werden – denn, wir wissen schon, das Menschliche wird wichtiger. Aber gerade die Fähigkeit des Lerntransfers wird elementar sein, um sich schneller und besser auf die sich wandelnden Umstände einrichten zu können.

Thinking outside the box

Kreative Ideen, innovative Ansätze, clevere Ideen – das sind alles geistige Leistungen, die scheinbar teils Glückssache, teils Zufall und teils Ergebnis passender Umstände sind. Aber sie liegen viel mehr in unserer eigenen Hand als wir vielleicht wahrhaben möchte. Sie sind wie Muskeln: Wer sie ständig beansprucht, trainiert und dehnt, dem wird es über längere Zeit leichter fallen und bessere Ergebnisse liefern.

Lernen ist zwar die Basis künstlicher Intelligenz. Doch maschinelles Lernen und menschliches Lernen werden sich noch auf unbestimmte Zeit dahingehend unterscheiden, dass maschinelles Lernen zielgerichtet und zweckgebunden stattfindet. Menschliches Lernen hingegen, ist „unordentlich“ und ermöglicht Lerntransfer – und somit Innovation.

Was heißt das nun für mich?

Wir mögen den Herausforderungen, vor die uns die heutige Zeit stellt, zwar skeptisch entgegenblicken – und das zurecht. Arbeit, wie wir sie heute und die Generationen vor uns kannten, nimmt eine nie dagewesene Form an. Arbeit könnte in der Zukunft zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für das wirtschaftliche Überleben von Einzelpersonen keine Notwendigkeit mehr sein. Stattdessen wandelt sie sich zu einer sinnstiftenden Tätigkeit.

Aktuell stehen wir an einem Wendepunkt, der sich zunächst als Generationskonflikt dargestellt hat: Die Generation Z wird gerne für ihre Sinnsuche in der Arbeitswelt belächelt. Gleichzeitig sind sie aber auch eine Generation, die mit den Nachwirkungen von 2008 aufgewachsen ist, die bezweifelt, dass sie überhaupt noch eine Rente erhalten wird und meiden den Immobilienkauf. Aufgewachsen in einem Umfeld voller Unsicherheit, hat sich die Grundeinstellung festgesetzt, dass nichts von Dauer ist – und dann soll die Arbeit wenigstens einen Sinn haben.

Ob diese Unsicherheit in den nächsten Jahren abnehmen wird, ist ungewiss. Doch eins steht fest: Der Wandel der letzten zehn Jahre wird nur noch schneller stattfinden – und wir sehen uns mit einer so nie da gewesenen Situation konfrontiert.

Das bringt ein großes Set an Problemen mit sich, ohne Frage. Aber hinter alldem steckt auch eine Chance: Wenn Menschen irgendwann nicht mehr arbeiten müssen, sondern können und wollen – was können wir dann erreichen? Doch allem voran stehen wir vor einer gigantischen Herausforderungen: Die Chancen der digitalen Transformation können wir nur wahrnehmen, wenn wir als Gesellschaft lernen, für alle zu sorgen und die Kluften zu schließen.

Quelle: Markgraf, Daniel. (2018). AKAD Studien 003 – Arbeitswelten im Wandel – Auswirkungen digitaler Transformation.

Innovatives Arbeiten für Familien und Kind Gebliebene

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist seit Jahren Streitthema, eine Verbesserung ist so bald nicht in Sicht. Wer keine Unterstützung durch die Familie bekommen kann, kann im Prinzip nur auf einen flexiblen Arbeitgeber hoffen – und selbst das bietet nur geringe Entlastung. Jana Ehret und Yvonne Schrodt kennen dieses Problem und haben sich eine eigene Lösung geschaffen: CoWorkPlay, ein Coworking-Space, das nicht nur Räume, sondern auch eine pädagogische Betreuung für Kinder bietet. Ich habe mit den beiden über das Konzept von CoWorkPlay gesprochen, welche Herausforderungen ihnen begegnet sind und was als nächstes ansteht. So viel will ich verraten – nächster Stop: Weltherrschaft.

Zwei dunkelhaarige Frau lehnen an einen Tisch und blicken frontal lächelnd in die Kamera. Hinter ihnen ein buntes Graffiti der Frankfurter Skyline.
Ein Power-Couple der Frankfurter Startup-Szene: Yvonne Schrodt und Jana Ehret

Sirona: CoworkPlay, der Name ist Programm. Wie kamt ihr auf die Idee?

Jana: Weil ich mir damals dachte, dass es nicht sein kann, sich als Frau entscheiden zu müssen: Karriere oder Kind. Mein Problem war, dass meine Eltern nicht in der Nähe waren; ich wollte Kinder, dachte mir aber gleichzeitig: „Dafür hast du doch nicht studiert, das kann’s doch nicht sein.“ Konkrete Lösungen gab es nicht: Kitas waren entweder heillos überfüllt oder am Ende der Welt. Von den Aufnahmezeiten will ich gar nicht erst anfangen. Und Arbeitgeber waren noch nicht so flexibel – bei Yvonne gab’s damals glücklicherweise eine Ausnahme -, aber die Arbeitgeber, die ich bis dato kennengelernt habe, waren nicht so flexibel, dass man es gut vereinbaren konnte. Da musste irgendwie eine Lösung her, damit du beides sein konntest – weil nur Mutter sein, die üblichen Muttergespräche führen, auf dem Kinderspielplatz versauern und sich denken, „Okay, ich bin eine Frau und ich kann eigentlich noch viel mehr“, kam für mich nicht in Frage. Und daher kam das Konzept: Ohne sich zu zerreißen, alles unter einem Dach zu haben, Business-Frau zu sein: erfolgreich sein, Unternehmen zu führen, ein Startup zu führen, gleichzeitig aber auch in der Lage zu sein, Eltern zu werden und die Kinder auch einfach mitzuerleben. Ich sage zwar immer Business-Frau, wobei das eigentlich auch für die Väter gilt. Die Kinder morgens nicht nur in der Kita abzugeben, um sie abends wieder abzuholen und sich dann die Frage zu stellen, was man eigentlich von seinem Kind hat.

Sirona: Die Beschreibung aus deiner Perspektive zeigt auch schön, dass CoWorkPlay erst mal dein Projekt war und Yvonne erst später dazu kam. Wie habt ihr denn zueinander gefunden?
Beide lachen und grinsen sich an.

Jana: Social Media sei Dank: Facebook. Mein damaliger Gründungspartner ist damals nach einem Dreivierteljahr ausgestiegen, zurück in die Angestelltenrolle und ich hatte dann in einer Facebook-Gruppe für Rhein-Main-Startups den Post gesetzt: „Junge Gründerin mit toller Idee sucht!“ Wie so eine klassische Kontaktanzeige. Daraufhin meldete sich dann black chili (Anm.: Company Builder) entgegen meiner Erwartung, dass sich bestimmt niemand melden würde. Aber da bin ich dann zu black chili und da war Yvonne. Im roten Blazer. Alle lachen.

Sirona: Oh, so genau gemerkt?

Jana: Ja, der rote Blazer ist im Kopf geblieben. Wenige Tage später hieß es dann, dass black chili eine Lösung habe, denn man hatte zuvor selbst die Idee eines Coworking-Spaces verfolgt, auch wenn es eher als Startup-Center angedacht war. Und dieses Projekt lief parallel zu CoWorkPlay, da war der Gedanke natürlich naheliegend, das irgendwie zu verheiraten. Nach einem internen Gespräch war dann klar, dass Yvonne das gerne machen würde. Denn sie kennt genau diese Problematik und irgendwie habe ich sie überzeugen können. Schaut grinsend zu ihr. Was auch immer ich da getan habe.

Yvonne: Ich fand das super spannend, eben weil ich dieses Thema als Mama selbst kenne. Ich hatte das Glück damals einen sehr flexiblen Arbeitgeber gehabt zu haben, der sagte: „Es ist egal, wo du sitzt, das geht auch aus dem Home Office.“ Wenn ich arbeiten war, war mein Mann immer da. Daher wusste ich aber auch, wie schwierig das ist, und was es für ein Gefühl ist, wenn du dein Kind irgendjemandem geben musst. Das wäre für mich überhaupt nicht in Frage gekommen. Und deswegen fand ich dieses Konzept so toll. Aber ich wusste, wir (Anm.: bei black chili) haben ein anderes Coworking-Konzept, das wir verfolgten – das war zwar ein schönes Thema, aber wollen wir das denn machen? Und dann meinte Recai Gündüz (Anm.: CEO und Gründer von black chili): „Na, ich hab‘ da eine Lösung – dann machst du das halt einfach selbst!“ Beide lachen, Yvonne ahmt ihre fassungslose Reaktion auf die Aussage nach. „Du wirst einfach Unternehmerin!“ Meine Antwort war schlichtweg: „Du hast sie nicht mehr alle! Will ich nicht.“ Er bat mich aber, einfach mal zu überlegen und ja, ab da nahm das dann so seinen Lauf. Und heute sind wir hier.

Sirona: Trotz eurer Unterschiede, die ihr häufig betont. Was ist eurer Geheimnis, dass ihr ein so gutes Team seid?

Jana: Zu akzeptieren, dass der eine Stärken, aber auch Schwächen hat. Und ihn vor allem für seine Stärken zu schätzen und die Schwächen hinzunehmen

Yvonne: Es ist ja auch nicht so, dass bei uns alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Eben wegen dieser Differenzen, auch weil wir uns erst seit dieser relativ kurzen Zeit kennen, knallen wir auch oft gegeneinander. Wir sind beide Alpha-Tiere und jeder versucht seinen Willen durchzusetzen. Man muss lernen zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die die Arbeit anders machen als man selbst, aber sie kommen genauso zum Ziel wie du auch. Das geht mal leichter, mal schwerer. Wir haben da auch durchaus schon den ein oder anderen Rat von jemand Externem genommen, wenn es um strategische Entscheidungen ging – denn das sind oft Situationen, da ziehen wir in verschiedene Richtungen. Letzten Endes ist das Ziel das gleiche, nur der Weg, der beschritten wird, ist unterschiedlich. Und da braucht man manchmal auch Impulse von außen, um die Wege wieder zusammenzuführen. Man muss lernen sich für die Ziele persönlich zurückzustellen. Und das kann schwer sein.

Jana, nickend: Egal, wie unterschiedlich wir auch sind, wir haben dasselbe Ziel. Wir haben beide viel in das Projekt investiert – und ich rede da nicht nur von Geld, sondern auch von Zeit und Herzblut. Das ist quasi unser Baby und dafür kämpfst du natürlich und willst, dass es dem gut geht. Wenn du dir das verinnerlichst, dann funktioniert die Zusammenarbeit. Da denkst du dir vielleicht, „Das ist vielleicht scheiße gelaufen, aber es geht weiter“, denn im Endeffekt schlägt ja das Herz für dasselbe Ziel. Du hast dich dafür entschieden, du willst es machen und dann machst du weiter, weil du genau weißt, dieser Weg ist nötig.

Yvonne: Aber das muss nicht heißen, dass es uns persönlich schlecht geht. Ja, man muss sich zurücknehmen. Aber es ist fast wie in einer Ehe, du lernst Kompromisse einzugehen, jeder muss mal nachgeben und dann funktioniert es relativ gut.

Jana: Damals beim Notar (Anm.: bei der Gründung) war es fast so, als würde man uns fragen: „Willst du diese Frau zu deiner Frau nehmen?“ Beide lachen. Es hat so ein bisschen was von der Soap Hochzeit auf den ersten Blick. Man kannte sich anfangs nicht, wir sind irgendwie verschieden, aber wir wollten es gemeinsam probieren.

Sirona: Seit der Gründung habt ihr eine Menge gemeinsam gelernt. Wenn ihr Gründern einen Ratschlag ans Herz legen könnt, welcher wäre das?

Jana: Arschbacken zusammenkneifen und springen. Keine Angst davor haben. Wenn du nur darüber nachdenkst zu scheitern, zu verlieren, etwas in den Sand zu setzen, brauchst du nicht zu gründen.

Yvonne: Wenn du nicht zu 100% dahinter stehst, dann lass‘ die Finger davon. Dann scheiterst du. Du wirst scheitern, weil du dich selbst ausbremst – du fährst mit angezogener Handbremse. Überzeugung ist kein Garant dafür, dass du Erfolg haben wirst, aber es ist definitiv so, dass du scheitern wirst, wenn du nicht dahinter stehst. Besonders wenn du keine unterstützende Umgebung hast. Wenn wir unsere Familie und Partner nicht hätten, die uns immer wieder den Rücken freihalten, dann könnten wir das so nicht machen. Das brauchst du um Kraft zu tanken, du brauchst einfach den Rückhalt. Und wenn du dann nicht einmal selbst von deiner Idee überzeugt bist, dann wird das nichts.

Jana: Und vor allem bei Frauen: Sei stolz auf deine Idee. Wenn sich ein Mann dahin stellt (stemmt die Hände in die Hüften und setzt sich auf) und laut meint, „Heeey! Seht her, ich hab‘ das gemacht“, dann kommt eine Frau daher und pitcht (leise, macht den Rücken krumm und zieht die Schultern zusammen), „Ja, ich hab‘ da sowas gemacht und dann läuft das ganz guuut…“ Es ist wirklich so. Ich möchte diese Frauen rütteln und ihnen sagen: „Hey, sei‘ doch stolz drauf. Brust raus, laute Stimme – come on! Du hast etwas ganz Tolles geschaffen, steh‘ doch dazu.“ Warum fällt das einem Mann oftmals viel, viel leichter seine Idee stolz und vollkommen von sich selbst überzeugt zu präsentieren? Da kann die Idee der Frau mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser sein. Sei stolz, steh‘ dazu, feier das. Feiere jeden Tag, was du erreicht hast.

Sirona: Besonders wenn man von außen ohnehin genug Gegenwind erfahren wird.

Yvonne: Es gibt ganz viele, die an dir zweifeln werden; ganz viele, die alles besser wissen und dich belehren wollen. Und ich denke mir, „Natürlich, erzähl‘ mir mehr. Du bist jetzt Angestellte und ich habe ein Unternehmen, bin selbstständig und habe so und so viele Mitarbeiter. Und wir machen jetzt einen zweiten Standort auf. Was genau hast du geschafft?“

Jana: Und feiere deine Erfolge. Kleine Erfolge, große Erfolge, jeden Erfolg.

Yvonne: Anfangs haben wir hier jedes Ding, das hereinkam, gefeiert. Als die EZB kam, habe ich erst mal meinen Papa angerufen. Wenige Hundert Euro oder jeden großen Kunden: Auch wenn du damit nicht die Miete bezahlen kannst, feiere dich.

Jana: Oder als Facebook damals eine Veranstaltung bei uns hatte. Das hat den Maßstab für alles weitere gesetzt – die Events, das Herausfinden, was beim Kunden ankommt. Das macht uns so gut: Wir zeigen jede Menge Professionalität, aber wir haben vor allem das Herz am richtigen Fleck und gehen mit Herzlichkeit hier hinein. Wer durch diese Tür hier kommt, der wird liebevoll begrüßt, als sei es unser Wohnzimmer. Egal, ob es ein Coworker, die Deutsche Bahn oder ein Kaiser sein sollte, der wird genauso behandelt, wie jeder andere auch. Als ob man nach Hause kommt.

Sirona: Stichwort Wohlfühlen: CoWorkPlay. Auch kinderlose Coworker bringen sich voll ein und interagieren mit den Kindern. Wie funktioniert das Zusammenleben hier?

Yvonne: Die Leute, die hier reinkommen, die wissen, dass Kinder da sind – und dass Kinder eben nicht immer nur leise sind. Die meisten haben damit überhaupt kein Problem, sie finden das sogar schön, wenn hier ein Kind mit dem Bobby-Car durch die Welt fährt. Klar gibt es laute Tage, da braucht man mehr Nerven. Aber dann macht man die Bürotür zu. Das wissen die Leute. Wir haben mit voller Absicht auch Spielelemente für Erwachsene eingebaut, da springt man auch mal als Tischkickerpartner ein. Man selbst muss wissen, ob man dieses familiäre Umfeld will – und wer sich das vorstellen kann, der kommt hierher. Es gibt auch Menschen, die merken, dass es nichts für sie ist. Das ist okay, die finden woanders ihren Platz.

Jana: Aber wenn dir dann ein Coworker sagt, er vermisst die Kinder, dann ist das wirklich schön. Die Kids merken sich Gesichter, es gibt dieses Gefühl des Familienzusammenhalts – du bist nicht einfach nur Coworker. Das erdet. Das hast du sonst nirgendwo.

Yvonne: Oder wenn ein Kind sein Gesicht gegen die Glasscheibe drückt und damit einfach ein komplettes Meeting einer Bank crasht. Da haben wir uns auch um die Reaktion gesorgt – bis wir merkten, wie sehr das die Stimmung entspannte. Ein Meeting voller Männer und auf einmal haben alle gelächelt. Kinder genießen einfach diese Narrenfreiheit. Alle, die hier einen Bereich mieten, die sind im Herzen noch ein Stück weit Kind.

Sirona: Wenn man rund acht Stunden am Tag auf der Arbeit verbringt, ist es natürlich auch nett, wenn man sich ein Stück Familie mitnehmen kann. Wenn’s nicht die eigenen Kinder sind, dann sind es die der anderen.

Yvonne: Wenn ich völlig fertig bin, dann kann ich einfach eine halbe Stunde in den Kinderbereich gehen, mit ihnen Blödsinn machen. Und wenn ich wieder herauskomme, sieht die Welt ganz anders aus.

Sirona: Möchtet ihr das gleiche Konzept mit dem Flying Nanny Service, also der Kinderbetreuung, auch in der MyZeil beibehalten?

CoWorkPlay3

Jana: Leider nein. Die Fläche ist zu klein.

Yvonne: Die Zielgruppe ist da tatsächlich auch eine ganz andere. Da sind eher die Tagesgäste und Veranstalter im Fokus. Obwohl man in der MyZeil durchaus über eine Kinderbetreuung nachdenkt. Da könnten wir uns durchaus eine Kooperation vorstellen, aber dafür werden wir nicht extra Fläche anmieten. Wir möchten nicht, dass man die Kinder einfach nur für ein, zwei Stunden parkt. Wir sagen immer, wir sind ein Bällebad mit Qualität. Und die Qualität der Betreuung ist uns wichtig. Aber an anderen Standorten wollen wir das durchaus wieder aufgreifen.

Jana: Die Schwerpunkte wollen wir je nach Filiale setzen. Weiter auf dem Land kann man den Schwerpunkt vielleicht wieder mehr auf den Kinderbereich legen und eine richtige Kita anschließen. Das ist alles denkbar, denn bei CoWorkPlay sind es letztlich drei einzelne Bausteine, die du je nach Bedarf wählen und variabel anordnen und gewichten kannst. Hier im Mutterschiff (Anm.: Frankfurter Ostend) ist das relativ ausgewogen und in der MyZeil sind es eher die ersten zwei Bestandteile.

Sirona: Ihr weist ja immer wieder auf das Baustein-Konzept hinter CoWorkPlay hin. Passend zum Play funktioniert das ja wie Lego-Steine. War das von Anfang an die Idee dahinter oder hat sich das erst mit der Zeit entwickelt?

Jana: Gerade in der Gründungsphase haben wir das Kinder-Konzept gefühlt fünf Mal umgeschmissen. Man steckt ja nicht drin, wir sind beide keine Erzieher und dann fängst du als komplett Branchenfremder an dich in so ein Thema reinzuarbeiten. Und du denkst dir erst, „okay, dann machen wir das halt so“ – bis eine Behörde kommt und du merkst, dass das so nicht geht. Und dieser Austausch ist dann ein ewiges Hin und Her.

Yvonne: Also jedenfalls wenn du mit der Behörde arbeiten willst. Wenn du ohne die Behörde und ohne irgendwelche Zuschüsse klar kommen willst, dann kannst du letzten Endes tun und lassen, was du willst. Das Schulamt war seinerzeit da gewesen und hat sich hier alles angeguckt, wie wir das machen, damit wir auch keine Richtlinien verletzen. Es wird einem aber extrem schwer gemacht – obwohl es diese Situation mit Kindertagesstätten, Kindergartenplatzmangel gibt, obwohl es zu wenig Tagesmütter gibt, obwohl man weiß, dass es für Kinder eigentlich eher schädlich ist, sie ab einem gewissen Alter schon in die Krippe zu geben. Trotzdem sind die Städte und die Politik nicht offen für solche Konzepte. Im Gegenteil: Sie verfolgen veraltete Konzepte, die auch gar nicht so gut sind für die Kinder, weil du keine Kontrolle hast, was dort passiert. Wir kennen Insider, die sagen, dass man oft gar nicht sieht, was hinter verschlossenen Türen passiert. Die Kinder sind klein, sie können sich nicht artikulieren; du weißt nicht, ob ein Kind nachts auf einmal schreit, weil es am Tag vielleicht etwas erlebt hat, das belastet und nicht verständlich ist. Wir streben eine Studie mit dem Kinderbereich bei uns an, weil wir nach über einem Jahr das Gefühl haben, dass unsere Kinder hier, deutlich entspannter sind und auch deutlich weniger krank sind als Kinder im Kindergarten. Das kann natürlich an der kleineren Gruppe liegen, aber auch daran, dass die Kinder keine Verlustängste haben müssen und weniger Stress erfahren. Diese Kinder hier sind satt, sie kriegen von allen Seiten Liebe und die Eltern wissen: Hier ist alles offen, die Eltern können jederzeit sehen, wie mit den Kindern umgegangen wird. Natürlich gibt es Regeln – aber auf eine Art und Weise, die sie verstehen können und lernen lassen. Aber es wird auf jedes Kind eingegangen, mit ihnen gesprochen. Eine Mama hat sich tatsächlich aktiv gegen den Krippenplatz entschieden. Sie hat allen Seiten eine Chance gegeben, hat es aktiv mit einer Eingewöhnungsphase probiert und sie sagt: Für sie ist das ein ganz anderes Umfeld, sie fühlt sich damit nicht wohl – und will lieber bei uns bleiben, denn hier ist das für sie Familie.

Sirona: Wenn das kein Erfolg ist, den man feiern kann.

Yvonne: Genau! Wenn so ein Feedback kommt, dann haben wir alles richtig gemacht.

Jana: Aber allein, wenn dich ein Kind anstrahlt und dir ein High Five gibt. Das sind die schönsten Momente.

Yvonne: Am liebsten bringe ich den Kindern Unsinn bei und ärgere Heidi, unsere pädagogische Leitung, ein bisschen damit. Lacht.

Jana: Dann heißt’s, „Jana, Yvonne, wir haben hier Regeln!“ Beide lachen.

Sirona: Wie war das mit dem Kind im Erwachsenen? Hand auf’s Herz: Würdet ihr im Nachhinein irgendetwas anders machen?

Yvonne: Nein. Denn dann wäre es nicht mehr so, wie es jetzt ist. Und ich weiß nicht, ob es dann so wäre, wie es jetzt ist. Ich glaube, der Weg, den wir gegangen sind, war der richtige.

Jana: Zwei, drei Fehler sind uns passiert, natürlich. Aber auch aus diesen Fehlern haben wir für uns die Lehren gezogen, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Und das ist wichtig.

Sirona: Und als nächstes kommt dann die Weltherrschaft, wie ihr so gern sagt?

Beide: Aber sowas von. Lachen.

Jana: Im Nachgang muss ich auch sagen: Bevor wir hier auf den Markt kamen, hat sich niemand im Rhein-Main-Gebiet für Gründerinnen interessiert. Und kaum veranstalten wir die Female Founders Edition, macht es plötzlich jeder.

Yvonne: Nachahmung ist halt die höchste Form der Wertschätzung. Es gibt vieles, was wir falsch gemacht haben – aber wir haben auch eine Menge richtig gemacht. Und das war der richtige Weg für uns.

CoWorkPlay2
CoWorkPlay, ein innovatives Coworking-Space im Frankfurter Ostend.