Warum Podcasts so gut funktionieren – und was sich das Radio abgucken kann

Eine der gebetsmühlenartig wiederholten Binsenweisheiten während meines Studiums war immer wieder: „Das Radio ist scheintot. Gehört wird es vor allem vormittags auf dem Weg zur und während der Arbeit.“ Dazu wurde uns stets diese Grafik gezeigt, die in der Langzeitstudie Massenkommunikation von ARD und ZDF passenderweise zusammengefasst wird mit den Worten: „Radio ist der Tagesbegleiter und leistet bereits ab dem morgendlichen Aufstehen den Menschen Gesellschaft. Am meisten genutzt wird es zwischen 7.30 Uhr und 11.00 Uhr, in diesem Zeitabschnitt hören mindestens 25 Prozent der Bevölkerung Radio. Die Nutzung sinkt über den weiteren Tag kontinuierlich und fällt ab ca. 18.30 Uhr stark ab.“

Abbildung 4 aus der Langzeitstudie "Massenkommunikation" von ARD und ZDF mit dem Titel "Mediennutzung im Tagesverlauf 2015 bei der Gesamtbevölkerung". Die Grafik zeigt u.a. dass die Radionutzung am Vormittag am stärksten ist.

Aber nur, weil das Radio an einem Scheidepunkt der Relevanz steht, heißt das nicht, dass die ursprüngliche Rolle des Radios irrelevant ist. Musik-Streaming-Dienste waren die ersten, die dem Radio den Rang abgelaufen haben. Wichtig, wenn auch meist vergessen, ist aber auch der meinungsbildende, informierend-unterhaltende Aspekt des Radios. Themen-Sendungen, Interviews, Diskussionen – all das ist nicht plötzlich unwichtig geworden. Es hat nur eine neue Form angenommen: Podcasts.

Wie können Podcasts eine Inspiration für Radiosendungen sein? Und warum sind sie so ein starkes Format?

Eigentlich sollten Podcasts nach der aktuellen Content-Logik scheitern: Sie sind meist lang, nicht audiovisuell, sehr themenspezifisch und sind schwer zu finden, wenn man nicht explizit nach ihnen sucht. Aber sie laufen. Eben weil sie einen thematischen Deep Dive ermöglichen und extrem nischig sind.

Thematischer Fokus mit Podcasts

Durch ihre spitze Zielgruppenausrichtung erreichen sie wirklich nur die Leute, für die diese Inhalte auch relevant sind. Gleichzeitig ermöglicht der Fokus auf das Auditive den Fokus auf den Inhalt, das tatsächlich Gesagte. Kein ästhetischer Schnickschnack, keine ablenkenden Bilder, kein Bedarf, sich auch noch um die Bildgestaltung kümmern zu müssen. Der Dialog (oder Monolog) muss stimmen, muss inhaltlich Hand und Fuß haben.

So kann man die Story auch durchdacht aufbauen, statt das Nötigste in wenige Minuten quetschen zu müssen. Das ist schließlich ein elementares Problem für das Radio: Durch ständige Unterbrechungen und Zuhörer, die zu jeder Zeit ein- oder aussteigen, muss Gesagtes immer wieder wiederholt werden und kann nur eine begrenzte Tiefe erreichen. Wer sich aber für die Podcast-Folge interessiert, weiß, worauf sie sich einlässt und ist bei überzeugendem Inhalt bereit, die Zeit zu investieren. Es besteht kein Zwang, die Story unter erhöhtem Zeitdruck erzählen zu müssen.

Leicht und immer verfügbar – Podcasts machen es dem Zuhörer leicht

Die Entscheidung eine Podcast-Folge zu hören, findet bewusst statt. Das Gerät, um ihn zu hören, ist in aller Regel stets dabei: Zwei Drittel der Hörer nutzen das eigene Smartphone. Apps wie Spotify und iTunes laufen mittlerweile fast überall, zumal die Folgen meist auch heruntergeladen werden können. Egal, ob auf der Pendelstrecke, nebenbei im Haushalt oder ganz bewusst, ohne etwas anderes zu tun, Podcasts können quasi jederzeit ohne größeren Aufwand gehört und pausiert werden. Und da sie nicht audiovisuell funktionieren, sind sie noch leichter zu konsumieren als On-Demand-Videos, die auf Fernseher oder Laptop doch angenehmer zu sehen sind als auf dem Smartphone-Bildschirm.

Aber natürlich müssen Podcasts nicht ausschließlich gehört werden. Genauso gut lassen sie sich auch multimedial aufbereiten. Seien es Video-Varianten des Podcasts, so wie es The Mustards machen, oder die Einbindung in Blogartikel oder Transkripte – die Audioversion kann als Basis dienen, aber nach Wunsch und Bedarf weiter ausgebaut werden.

Kein Schnickschnack nötig: Podcasts konzentrieren sich auf das Wesentliche

Anders als Content, der mit einem Multimedia-Konzept erdacht und erstellt wird, müssen monomediale Inhalte die gewünschte Nachricht allein, direkt und zielgerichtet übertragen können – ohne sich auf weitere Methoden stützen zu können. Klingt abstrakt, ist aber simpel: Während Person X im Video per Bauchbinde mit Namen, Titel und Beruf vorgestellt werden kann, muss der Podcast diese Informationen kurz und knapp vermitteln ohne direkt zu langweilen. Diagramme können nicht gezeigt, sondern müssen zusammengefasst werden. Emotionen müssen hörbar gemacht werden, wenn man sie nicht sehen kann. Und und und…

Dieses grundlegende monomediale Gerüst auszubauen, ist leichter als etwas als Multimedia-Inhalt konzipiertes zu reduzieren.

Smallest viable market: Podcasts funktionieren durch den Fokus auf relevante Zielgruppen

Und zu guter Letzt: Podcasts sind leicht produziert und nicht für die Masse gedacht – und sind somit so viel lohnender. Radio und auch Fernsehen sind davon abhängig von einer gewissen Masse konsumiert zu werden. Wenn der ROI nicht positiv und signifikant ist, werden Projekte schnell eingedampft. Und das macht auch Sinn.

Podcasts wiederum lassen sich schnell und vergleichsweise preiswert produzieren und auf bereits etablierten Plattformen hosten. Gleichzeitig ist der Druck sehr viel geringer, eine Vielzahl an Menschen zu begeistern. Stattdessen kann der Content Creator sich auf die wirklich relevante Zielgruppe konzentrieren und auf den smallest viable marketing bauen. Und das sollte eigentlich für viel mehr Inhalte und Kanäle gelten. Statt allen gefallen zu wollen, sollte der Fokus darauf liegen, den Richtigen zu gefallen.

“It’s impossible to create work that both matters and pleases everyone.”

Seth Godin, This Is Marketing: You Can’t Be Seen Until You Learn to See

So kannst du auch um einiges effizienter agieren. Wem deine Inhalte richtig gefallen, der wird regelmäßig auftauchen und gegebenenfalls Geld dalassen. Das sind Konsumenten, die lohnen. Schließlich ist das Internet auch keine kommunikative Einbahnstraße.  Fans werden deine Inhalte teilen, weiterempfehlen, kommentieren und noch viel mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens ein oder zwei Freunde deiner Fans deine Inhalte auch ganz toll finden… Nun, dass muss ich nicht erklären.

Wer deine Sachen aber mal so, mal so findet, wird kein zuverlässiger Konsument sind – und ist zu unzuverlässig, um sicher berücksichtigt zu werden. Geschweige denn dir Unterstützung zu bieten.

Da ist es in gewisser Weise wie im echten Leben: Du musst es nicht allen recht machen, sondern nur denen, die zählen. Alles andere ist reine Zeitverschwendung.

Fokussiert, leicht konsumierbar und ziel(gruppen)gerichtet – deshalb funktionieren Podcasts

Anders als Radiosendungen können Podcasts also nahezu immer und überall konsumiert werden ohne allzu viel relativen Produktionsauswand zu erfordern. Die größte Stärke ist aber wohl, dass Podcasts nahezu immer auf spitze Zielgruppen ausgerichtet sind. Während die großen Mainstream-Radiosender in ihren Inhalten austauschbar wirken (Charts, wie revolutionär!), zählen Podcasts auf Masse statt Klasse. Und das ist mit Sicherheit ein Trend, der die nächsten Jahre in jeder Hinsicht enorm prägen wird.

Du denkst, du weißt nicht genug über dein Lieblingsthema, um einen Podcasts zu produzieren? Dann schau dir doch mal diesen Beitrag an.

Weiterführende Links:

Warum du so auf Tasty stehst

Auch wenn man nur für wenige Minuten auf Facebook vorbeischaut, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass du beim Scrollen auf eins dieser Kochvideos stößt. Diese kurzen Videos, die uns aus, aus der Vogelperspektive gezeigt, einem Paar von Händen beim blitzschnellen Zubereiten einer verlockenden Mahlzeit zusehen lassen. Mit so richtig schöner Zeitlupe, wenn man sich das fertige Gericht ganz genau anschaut, dramatische Käsefäden und dampfendes Gebäck gehören zum Standard-Repertoire. Ja, genau diese Videos, bei denen du immer irgendwie hängen bleibst, dir „da würde ich jetzt nicht nein sagen“ denkst und jemanden markierst in der Absicht das Rezept nachzukochen – obwohl ihr beide wisst, dass das wohl niemals passieren wird. Dadurch entstehen aber Klickzahlen, von denen jeder Facebook-Seiten-Betreiber feuchte Träume kriegt.

Warum aber funktioniert diese Art von Inhalt aber so gut? Das Grundrezept (no pun intended) ist denkbar einfach: Eine kurze Szene mit dem verführerisch-dampfenden Gericht, worauf der Rezeptdurchlauf mit den wunderschön vorbereiteten Zutaten folgt, um dann erneut mit einer nahezu quälend in die Länge gezogenen Präsentation des fertigen Gerichts zu enden. Das Rad kannst du nur so oft neu erfinden und das ist mit Rezepten nicht anders. Aber das Grundrezept greift noch weiter, denn Kohlenhydrate und Fett treffen in ihrer kalorienhaltigsten Kombination aufeinander. Da greift der menschliche Instinkt genauso wie bei Fast Food: Auch wenn kalorienreiches Essen bei den meisten Panik auslöst, findet unser altes Ich aus den frühsten Zeiten der Menschheit, das Konzept klasse. Denn Nahrung bedeutet Arbeit, wenn man das Essen selbst sammeln und jagen muss – wenn das Essen dann aber lange satt macht dank der hohen Kaloriendichte, ist das eine richtige Zeit- und Energieersparnis. Und genau an dieser Schwachstelle, an diesem Überbleibsel aus früheren Zeiten, greifen diese Videos. Leckeres, überlebenswichtiges Essen, das schnell und unkompliziert auf dem eigenen Teller landet.

Und damit ist nicht nur die grundsätzliche Zucker-Fett-Ausrichtung der Rezepte gemeint, sondern auch die Darstellungsweise. Erinnern wir an das Grundmuster der Videos. Die anfängliche Darstellung der Mahlzeit schreit regelrecht „Siehst du dieses leckere Essen? Das gefällt dir doch!“ und spannt dann den Bogen zu „Das kannst du auch haben und zwar ganz einfach!“ Die vorbereiteten, in Schüsselchen hübsch angerichteten Zutaten und die stark beschleunigten Zubereitungsabläufe vermitteln, dass hinter diesem Rezept kaum Arbeit steckt. Dass die Zutaten zuerst gekauft, gewaschen, geschält, geschnitten, abgewogen werden müssen, ist weniger als ein Nachgedanke durch diese Darstellungsweise – die Zutaten scheinen einfach da zu sein. Boom, magic! Einfach schnell zusammenwerfen, umrühren, in den Ofen, fertig! Keine Vorbereitung, kein Aufräumen und Putzen der Küche danach. Fast wie Essen gehen, aber wir können uns einreden, dass es wenigstens ein bisschen gesund ist, weil man es ja selbst kocht. Da man auch nur ein Paar Hände beim Zubereiten sieht, wird diese Wahrnehmung zusätzlich gefördert – diese Clips sind wortwörtlich aus der Ich-Perspektive gefilmt.

Aber man kocht es nicht nur selbst, am liebsten kocht man natürlich mit Freunden – auf die Idee kommt man jedenfalls bei den ganzen Markierungen in den Kommentaren, die einen gemeinsamen Kochabend versprechen. Und genau hier findet sich eine weitere interessante Parallele zu Fast Food: Diese Art von Essen ist gleichzeitig ein soziales Ereignis. Obwohl Fast Food nahezu an jeder Ecke erhältlich ist, empfinden wir das tatsächliche Essen als ein besonderes Ereignis, man „gönnt“ sich – und das macht man meistens mit Freunden, meistens mit einer Begründung. Sei es ein anstrengender Tag („Das haben wir uns jetzt verdient!“) oder ein bestimmter Anlass („An seinem Geburtstag kann man sich mal etwas gönnen!“), in der Gruppe sucht man Bestätigung für die Entscheidung etwas zu sich zu nehmen, das, rational gesehen, nicht gut für uns ist. Aber wenn es einen Anlass hat und die anderen auch dahinter stehen, schrumpft die Überwindung dahin. Und ähnlich verhält es sich bei den Videos von Tasty und Co.: Im Grunde wissen wir, dass das Kochen daheim dieses Rezept nicht gesünder macht – aber gemeinsam ist das ja halb so schlimm, man gönnt sich.  Dass man mit öffentlichen Markieren der Freunde unter den Clips auch eine soziale Nachricht sendet, die eine Gruppenzugehörigkeit („Wir sind Freunde und kochen so leckere Sachen zusammen!) nach außen verkörpert. Wir befinden uns ja schließlich in den sozialen Netzwerken. Und wenn man sich noch etwas weiter aus dem Fenster lehnen möchte: Wenn der frühe Mensch eine solch sättigende Mahlzeit gefunden hat, war das meist ein Grund zu feiern – und das tut man nun mal in der Gemeinschaft.

Gleichzeitig punkten die Videos mit der Würze der Kürze, was in den sozialen Netzwerken nahezu immer ein Erfolgsgarant ist. Hat der Clip den ersten Hauch an Aufmerksamkeit erhascht (wie gesagt, die anfängliche Darstellung des Gerichts hat ihre Gründe), geht der nächste Blick meistens auf die Zeitleiste des Videos und, Überraschung!, das sind ja ohnehin nur noch 40 Sekunden, das kann man doch noch zu Ende schauen. Und schon ist man im Sog drin. Snackable content, in jeder Hinsicht. Sie sind leicht zu konsumieren wegen ihrer generellen Thematik und Kürze, erfordern kein hohes Maß an Aufmerksamkeit und scheinen auf den ersten Blick nicht zu fordern. Die Videos sind dein netter Kumpel, der dir ein gutes Rezept empfiehlt. Geld verdienen die Macher trotzdem, aber das merkt der Nutzer nicht direkt.

Wenn uns also das nächste Mal ein Food-Video über den Weg scrollt, können wir uns kurz ein bisschen schlau fühlen, denken, dass wir das Schema durchschaut haben – und brav unsere Freunde markieren, das muss man doch mal ausprobieren. Man gönnt sich ja sonst nichts.