Schrödingers Influencer: Warum machen alle [Werbung]?

Derzeit fluten Disclaimer wie [Werbung] die deutsche Ecke von Instagram – auch wenn man lediglich, das Café, in dem man das instagrammable Frühstück zu such genommen hat, markiert und ein Produkt empfiehlt, das man selbst gekauft hat und einfach gut findet, ganz ohne Aufforderung. Hintergrund ist ein Urteil des Berliner Landgerichts gegen die Bloggerin Vreni Frost – ein Urteil, dessen Echo schwer in der deutschen Medienblase diskutiert und an vielen Stellen aufgebauscht worden ist. Der durchschnittliche Instagram-Nutzer wird davon aber herzlich wenig mitbekommen haben bis kurz darauf die eingangs erwähnte [Werbung]-Flut Instagram überschwemmte. Für eine etwas ausgewogenere Einschätzung des Urteil kann ich übrigens diesen Artikel hier empfehlen. Übrigens, ist das jetzt unaufgeforderte, unbezahlte Werbung?

Ob und wie Influencer bezahlte Kooperationen oder unbezahlte, unaufgeforderte Empfehlungen als Werbung kennzeichnen müssen, möchte in diesem Beitrag nicht erläutern – sondern woher diese Aufmerksamkeit auf Influencer Marketing kommt.

Trust me, I’m an influencer

Es klingt eigentlich zu gut um wahr zu sein: Man empfiehlt Produkte, die einem gratis zugesendet worden sind und du kriegst Geld oben drauf. Aber warum lassen sich Marken überhaupt auf dieses Spiel ein? Es ist eigentlich denkbar einfach: Wenn klassische Werbung zwar noch funktioniert, aber längst nicht mehr so gut wie früher, und Online-Werbung vor den meisten Adblockern in die Knie geht, dann muss man eben umdenken. Und Influencer sind die eierlegende Wollmilchsau für Marken: Sie haben die mediale Reichweite, bringen eine vorausgewählte Zielgruppe mit sich und das Interesse und meist sogar Vertrauen der Follower – perfekte Grundvoraussetzungen.

Was heißt hier aber Vertrauen? Vergleichen wir doch folgende Situationen: Du siehst ein Plakat auf der Straße, dass dir einen neuen Brotaufstrich empfiehlt. Würdest du den Aufstrich kaufen? Vielleicht, wenn dich die Geschmacksrichtung anspricht oder wenn du bereits ähnliche Produkte dieser Marke ausprobiert und für gut befunden hast. Nun stellen wir uns vor, du hast zuvor noch nie von diesem Aufstrich gehört und ein Bekannter empfiehlt es dir ganz nebenbei, weil er oder sie ihn so gut findet. Muss ich noch fragen, welcher Empfehlung du eher nachgehen würdest? Wir hören eher auf Freunde, Familie und Bekannte, weil sie (vermutlich) nichts davon haben, dir ein Produkt weiterzuempfehlen. Weil Produktempfehlungen nicht das einzige Thema in eurer Beziehung sind, sondern nebenbei passieren. Und diese Personen kennen dich und wissen vermutlich, was zu dir passt und was nicht. Das, was wir üblicherweise als Werbung wahrnehmen, sei es nun ein Plakat, ein Radio-Spot oder eine Online-Anzeige kann nur hoffen, dich so auf dich zugeschnitten ansprechen zu können. Tatsächlich hören im weltweiten Schnitt 83% der Bevölkerung auf Empfehlungen von Bekannten und Familie – ein Wert, von dem klassische Werbung nur träumen kann.

Kenne deine Zielgruppe und du bist der Boss

Und hier bauen Influencer eine faszinierende Brücke: Sie sind die Person, die wie du und ich ist, vielleicht augenscheinlich ein bisschen cooler und informierter. Aber sie verringern die Distanz zwischen den Konsumenten und der Werbung. Sie sind vielleicht nicht dein Freund, aber sie können sich ein bisschen wie einer anfühlen, wenn sie auf Kommentare und Nachrichten antworten und in ihren Bildunterschriften immer dieses ominöse „euch“ benutzen: „Was steht bei euch heute so an? Wie findet ihr das und das?“ Da ist es also wenig verwunderlich, dass nach einer Studie der Keller Fay Group 82% der Konsumenten „sehr wahrscheinlich“ der Produktempfehlung eines Micro-Influencers nachgehen würden. Nicht unwichtig ist dabei auch die Einschätzung von Influencern als Experten, auch wenn tatsächlich das Gegenteil leider oft der Fall ist. Hier spielt eine grundlegende Theorie der Kommunikationswissenschaften eine große Rolle: die der Meinungsführerschaft. Menschen, die sich weniger intensiv mit Themen beschäftigen und informieren, suchen oder nehmen Rat von Menschen an, die sich intensiv mit den entsprechenden Themen auseinandersetzen und daher als kompetent, also als Meinungsführer, betrachtet werden. Auch wenn die These von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet nicht eindeutig nachzuweisen ist, bleibt sie bis heute (vielleicht sogar mehr denn je) relevant – besonders im Online-Raum. Jeder größere Instagram-Account hat einen spezifischen Fokus, seien es Beauty, Ernährung, Sport, Reisen oder ähnliche. Die Annahme, dass die Person hinter diesem Account sich folglich gut mit diesen Themen auskennt, ist naheliegend – wer sich so häufig mit einem Thema auseinandersetzt, wird schon wissen, wovon er oder sie redet. Oben drauf hilft diese thematische Ausrichtung Marken natürlich die passende Zielgruppe zu finden: Vegane Nahrungsergänzungsmittel lassen sich beispielsweise besser über einen veganen Instagrammer verkaufen als über den Steak liebenden Fitness-Influencer.

Wunderwaffe Influencer-Marketing?

Das Influencer-tum ist aber auch ein zweischneidiges Schwert: Marken suchen zwar Menschen mit einer großen Followerzahl, denn schließlich können die eine größere Zahl an potenziellen Kunden ansprechen. Wer aber viele Follower hat und häufig Produkte empfiehlt – erst recht, wenn die empfohlenen Marken häufig wechseln und selten wiederkehren – verliert auf Dauer an Vertrauens- und Glaubwürdigkeit. Daher auch die Differenzierung zwischen Influencern und Micro- und Macro-Influencern in der oben erwäjhnten Keller Fay Studie. Denn letztlich kommt das Vertrauen nicht durch die Anwesenheit auf der gleichen Plattform, sondern durch die Beziehungspflege. Wie in nahezu allen Aspekten der Kommunikation, sei sie nun politisch, kommerziell oder privat, kommt auf die Beziehung und Authentizität der Beteiligten an. Denn wer mag schon Lügner?

Und genau deswegen ist eine Diskussion solcher Fragestellungen wie im Fall Vreni Frost im öffentlichen Raum so wichtig: Solange Konsumenten unaufgeklärt sind und keine Möglichkeit haben, zwischen privaten und kommerziellen Empfehlungen zu unterscheiden, bleibt viel Raum für Unfug und Heuchelei. Ob es aber sonderlich förderlich ist, pauschal alles als Werbung zu deklarieren, ist fraglich. Ebenso wie die Tatsache, dass solche Themen selten die Medienblase verlassen und die Allgemeinheit erreichen. Da brauchen wir wohl dringend mehr Meinungsführer im Medien- und Online-Bereich.

Medienkonsum: Warum ich gerne die Spielverderberin bin

Um mit mir Filme oder Serien zu sehen, muss man Nerven haben – dessen bin ich mehr sehr bewusst. An meinem Verhalten (in diesem Kontext) werde ich in naher Zukunft dennoch nichts ändern – denn ich bin der festen Überzeugung, dass Medien kritisch betrachtet werden sollten. Und das gilt vor allem für Unterhaltungsmedien. Das bekommt der Freund derzeit wieder schwer zu spüren, denn wir schauen Penny Dreadful – er zum ersten Mal, ich zum zweiten Mal und habe deswegen natürlich umso mehr Vorwissen und Anlass zum Kommentieren. Was ich sehr oft tue. Ich liebe diese Serie über alles – gerade weil sie so unperfekt ist, ihre Probleme hat und sich so herrlich kontrovers diskutieren lässt. Aber warum kann man denn Unterhaltung nicht einfach als Unterhaltung genießen, vollkommen frei von Interpretationen und Ideologien? So gut gemeint der Wunsch nach Unterhaltung um der Unterhaltung Willen auch sein mag, ich halte ihn nicht nur für unerfüllbar, sondern auch für naiv.

Kinder durchleben im Laufe ihrer Entwicklung verschiedenste Phasen – Erwachsene genauso, wir neigen nur dazu das zu ignorieren. Manche Erwachsene bleiben sogar ganz Kind. Und Medien haben einen wahnsinnigen Einfluss auf diese Phasen, dazu muss man nur an Fastnacht, Halloween oder Eltern auf ihre Kinder im Elsa-Kostüm ansprechen. Man erinnere sich auch an den Trubel um Harry Potter in den 90ern und 00ern und wie die Fantasy-Reihe auch jetzt noch (m)eine Generation bewegt. Obwohl wir doch wissen, dass Kinder jeglichen Input um sich herum wie Schwämme aufsaugen – wenn auch glücklicherweise nicht immer ganz unkritisch – fehlt oft das Bewusstsein für die Inhalte, die wir ihnen vorsetzen. Und selbst wenn man sich dessen bewusst ist, fällt die Selektion schwer. Und das nicht ohne Grund, wenn es doch oft genug die Erwachsenen sind, die vollkommen unkritisch Medien konsumieren. Wenn Frauen 50 Shades of Grey als romantisch-erotisch wahrnehmen und es ihnen auch so verkauft wird, trotz der offensichtlichen Parallelen zu häuslicher Gewalt, Missbrauch und Manipulation, dann fragt man sich, in welchen Maßen der moderne Mensch wirklich emanzipiert und kritisch Medien konsumiert. Auch wenn wir alle Dinge hinterfragen können, muss das kritische Betrachten von Medien meist erst gelernt werden. Und mit kritischem Betrachten meine ich nicht die trump’sche Trotzreaktion, wenn etwas nicht gefällt, sondern Muster, subtile und nicht immer absichtliche Nachrichten zu erkennen. Die Werkzeuge dafür, werden im Laufe der Schulzeit meist angedeutet oder vielleicht sogar gegeben, aber vielen auch im gleichen Schritt schon madig gemacht. Wenn Schüler  – und Lehrer! – in der Interpretation von Texten nur eine langweilige Pflichtübung sehen und nicht das Erlernen eines tieferen Verständnisses, wie kann man dann Interesse daran entwickeln auch im eigenen Alltag später Medieninhalte zu verstehen?

Es wäre wahrscheinlich eine angenehme Abwechslung, wenn man einen Film oder eine Serie anschalten könnte, die man vollkommen unpolitisch betrachten könnte. Einfach nur unterhalten werden ohne sich Gedanken machen zu müssen – das wünsche ich mir selbst oft genug, denn auf Dauer kann es auch sehr anstrengend sein, in jedem Kontext das Positive und Negative zu sehen. Aber die Grenze zum mutwilligen Ignorieren und Schönreden ist schnell überschritten. So wie es angenehmer wäre, jedes Zurufen und Nachstarren auf den Straßen zu ignorieren, will man doch einfach Ruhe und kann solche Geschehnisse nur aktiv verdrängen. So lernt man auch in Filmen und Serien Gegebenheiten zu bemerken, die einem (unangenehm) auffallen – und es ist schwieriger im Nachhinein diese aktiv zu ignorieren, um Medien bloß zur Unterhaltung zu konsumieren. Es hat seinen Grund solche Gegebenheiten zu bemerken, denn es zwingt dazu sich mit ihnen auseinanderzusetzen, man entwickelt eigene Standpunkte und es macht einem zum mündigen Rezipienten. Wer sich kritisch mit Inhalten auseinandersetzt, wird zum aktiven Part statt zum passiven Rezipienten.

Und diese aktive Rolle lässt einen mitgestalten – nicht immer direkt, aber dennoch aktiv. Aber warum sollte ich Filme und Serien mitgestalten wollen? Ich will sie doch nur sehen? Wer kritisch Medien konsumiert, sein Feedback teilt und bewusst Inhalte wählt, die er sehen möchte, der vermittelt, welche Inhalte gut ankommen. Stark vereinfacht gesprochen: Wer Filme mit schlecht entwickelten Charakteren und langweiligen Handlungen kritisiert, anderen davon abrät, sich diese Filme anzusehen und sie selbst nicht rezipiert, vermittelt damit einen klaren Standpunkt. Schließen sich dem genug Menschen an, müssen Filmemacher reagieren und nachforschen, wo das Problem liegt. Auf Dauer werden sie gezwungen sein, Filme mit komplexeren Charakteren und interessanteren Handlungen zu machen. Schweigt aber jeder bei solch schlechten Filmen und schaut sie sich trotz der schlechten Qualität an, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt irgendwer den Mund öffnet. Medieninhalte sind ein maßgeblicher Teil unserer Gesellschaft, sie sind eng verwoben mit der öffentlichen Meinungsbildung – selbst wenn es fiktive, unterhaltungsorientierte Inhalte sind – und unterliegen ständigem Wandel. 50 Shades of Grey mag erfolgreich sein und eine riesige Fangemeinschaft haben; aber da gibt es auch die Menschen, die die Bücher und Filme offen kritisieren, die Probleme zum Thema machen und andere Personen damit sensibler für diese Themen machen.

Auch Unterhaltung vermittelt Wert – und das oft mit so viel mehr Schlagkraft als erzieherische Versuche, eben weil Unterhaltung subtiler funktioniert. Sieht ein Kind umso mehr Filme und Serien, die Mädchen als passive Prinzessinnen zeigen, die auf Rettung angewiesen sind, und Jungen als starke Helden, die niemals Angst haben und Gefühle zeigen dürfen, wird diese Auffassung mit jedem Inhalt mehr verstärkt bis die Kinder sich gar nicht mehr bewusst sind, dass das ursprünglich gar nicht ihre eigene Idee war. Wir können uns diesen subtilen Nachrichten niemals ganz entziehen und Medieninhalte möchten diese Werte womöglich gar nicht bewusst vermitteln – diese Inhalte werden schließlich auch nur von Menschen gemacht, die selbst mit unterschwelligen Nachrichten konfrontiert werden. Aber sprechen wir darüber, wie wir etwas wahrnehmen, kritisieren es, diskutieren darüber und tauschen uns aus, dann profitieren wir alle von diesem Lernprozess.

Ein GIF von Gilmore Girls zu Filmen